Am 11. Dezember 1977 veröffentlichten Amnesty International und die Teilnehmer einer Internationalen Konferenz über die Abschaffung der Todesstrafe die sogenannte Stockholmer Erklärung. Darin werden alle Regierungen auffordert, die sofortige und vollständige Abschaffung der Todesstrafe herbeizuführen. Dies war der Startschuss für Amnesty, gegen diese mittelalterliche Strafe weltweit mobil zu machen. Damals hatten erst 16 Länder die Todesstrafe abgeschafft. Vierzig Jahre später steht diese Zahl immerhin bei 105. Es ist also bereits viel geschafft aber längst noch nicht das Ziel erreicht worden: Eine Welt ohne Hinrichtungen.
In den nächsten Wochen möchten wir Bilanz ziehen und die 40 Jahre Einsatz gegen die Todesstrafe Revue passieren lassen. Diese Zeitspanne zeigt viel Licht, aber auch deutliche Schatten. In loser Reihenfolge stellen wir die Entwicklung in Sachen Todesstrafe in den verschiedenen Regionen der Erde vor.
EINE WACHSENDE BEWEGUNG FÜR DIE ABSCHAFFUNG DER TODESSTRAFE
Amnesty International war die erste Menschenrechtsorganisation, die die Abschaffung der Todesstrafe in den 1970er Jahren in ihr Mandat aufgenommen hat – etwas, das uns mit Stolz und Respekt erfüllt für die Visionäre, die diesen Schritt gegangen sind. Zu dieser Zeit hatten sich in einigen Ländern bereits erste Gruppen gebildet, die die Abschaffung der Todesstrafe forderten, und auch die Zivilgesellschaft sowie Vertreterinnen und Vertreter religiöser Glaubensrichtungen in allen Regionen sprachen sich gegen den Einsatz dieser Strafe aus. Mehrere Regierungen und zwischenstaatliche Organisationen hatten begonnen, Bedenken gegen den Einsatz der Todesstrafe zu äußern.
Es war die Internationale Konferenz über die Abschaffung der Todesstrafe, die 1977 von Amnesty International in Stockholm organisiert wurde, die all diese einzelnen Initiativen vernetzte. Eine neue globale Bewegung begann Gestalt anzunehmen. Die Konferenz, an der über 200 Delegierte aus 50 Ländern teilnahmen, verwurzelte die bedingungslose Ablehnung der Todesstrafe unmissverständlich in den Rahmenbedingungen der Menschenrechte und deren universellem Geltungsbereich und verlieh der öffentlichen Debatte über dieses oftmals kontrovers diskutierte Thema somit eine neue wichtige Dimension.
Seitdem ist die Bewegung gegen die Todesstrafe in Zahl und Ausdehnung stetig gewachsen. Im Mai 2002 etablierten mehrere Organisationen, u. a. Amnesty International, die Weltkoalition gegen die Todesstrafe, um globale Strategien und Zusammenarbeit zu koordinieren und um ihre Mitglieder – mittlerweile mehr als 150 weltweit – zu unterstützen. Viele weitere Akteure haben sich der Bewegung gegen die Todesstrafe angeschlossen: Anwaltsvereinigungen, Akademiker, Kriminologen, Gewerkschaften, Künstler, Bürgermeister von Städten auf der ganzen Welt, Parlamentarier und viele mehr. Bekräftigt von zunehmend deutlicheren Positionen für die Abschaffung der Todesstrafe, die von den Vereinten Nationen und anderen Regionalorganisationen eingenommen wurden, wuchs die Bewegung weiter und nahm zuweilen Vorbildcharakter für die Arbeit zur Stärkung von Menschenrechten in anderen Bereichen ein.
Mit der Zeit haben sich unsere Strategien entwickelt – von Nachtwachen gegen Hinrichtungen, die zunächst überwiegend abgehalten wurden, bis zum langfristigen Dialog mit Entscheidungsträgern. Wir haben gelernt, dass wir niemals aufhören dürfen, die Wirklichkeit der Todesstrafe darzulegen – auch nicht nach ihrer Abschaffung, da das Risiko, dass Politikerinnen und Politiker die Wiedereinführung der Todesstrafe als „schnelle Lösung“ für Kriminalität fordern, omnipräsent ist. Wir haben neue Dialoge angestoßen, auch mit Personen, von denen nicht zu erwarten ist, dass sie zu Protagonisten der Abschaffungsbewegung werden. Hier gilt die Erkenntnis, dass der Bote manchmal so wichtig sein kann wie die Botschaft selbst.
Während wir bei unserem Bestreben, die Todesstrafe ein für alle Mal überall abzuschaffen, niemals Kompromisse eingehen werden, haben wir auch Schritt-für-Schritt-Lösungen in Richtung Abschaffung unterstützt, solange wir unser Hauptziel nicht aus den Augen verlieren. Die Herausforderungen sind vielfältig, aber wir haben gelernt, dass wir Stärke in der Arbeit und den Perspektiven anderer finden – dies gibt uns die Gewissheit, dass unsere Anstrengungen von Erfolg gekrönt sein werden.
Teilnehmer des „Marsches für das Leben – Walk for Life“ im Luneta Park in Manila, Philippinen, Februar 2017 © Romeo Ranoco / Reuters
Jenseits der Zivilgesellschaft: Heilberufler gegen die Todesstrafe
Es sind nicht nur Aktivistinnen und Aktivisten, die den globalen Kampf gegen die Todesstrafe vorangetrieben haben. Berufliche Netzwerke haben ebenfalls eine wesentliche Rolle gespielt, die Opposition gegen Hinrichtungen zu fördern. Sie zeigen, dass jeder eine Rolle in der Kampagnenarbeit gegen den Einsatz dieser Strafe spielen kann.
Amnesty Internationals Netzwerk von Heilberuflern für Menschenrechte setzt sich seit Jahrzehnten gegen die Todesstrafe ein und prangert insbesondere die Einbindung von Ärztinnen und Ärzten sowie Pflegekräften in die Begutachtung von Gefangenen während und nach der Hinrichtung an. Indem medizinische Fachkräfte mit ihren Kolleginnen und Kollegen in anderen Ländern sprechen, können sie ihre Bedenken deutlich machen gegen den Einsatz von medizinischer Expertise und Equipment für einen Zweck, der im Gegensatz zu dem steht, wofür Medizin eigentlich genutzt werden sollte – nämlich, um Leben zu retten und Krankheiten zu heilen. Im Dialog stellen sie auch die Beteiligung von medizinischem Personal an Hinrichtungen infrage.
Ihre Arbeit hat zur Verabschiedung von Deklarationen vieler medizinischer Gremien beigetragen, die bekräftigen, dass es für Ärzte, Psychiater und Pflegekräfte unethisch ist, am Hinrichtungsprozess teilzunehmen. Dieses Personal wird unmissverständlich aufgefordert, sich aktiv gegen eine Teilnahme an Exekutionen zu stellen. Eine dieser Deklarationen ist die des Weltärztebundes, der erstmals 1981 eine solche Position einnahm.
Heilberufler haben sich außerdem dafür eingesetzt, dass Staaten Regulierungen einführen, die gewährleisten, dass Chemikalien, die für legitime medizinische Zwecke hergestellt werden, nicht für die Giftspritze verwendet werden, und dass Pharmaunternehmen sich nicht mitschuldig machen bei der Anwendung der Todesstrafe. Sie beteiligten sich an den globalen Anstrengungen, Menschen mit geistigen und intellektuellen Behinderungen von der Todesstrafe auszunehmen. Sie traten außerdem für eine regelmäßige Gesundheitsüberwachung von Menschen ein, die sich im Todesstrakt befinden. Angehörige von Heilberufen haben mit Aktivistinnen und Aktivisten sowie Rechtsbeiständen zusammengearbeitet und ihre medizinische Expertise angeboten, um das Engagement zugunsten von Todeskandidaten zu unterstützen. Heilberufler haben Amnesty auch geholfen, die Komplexität der Aspekte dieser äußersten grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Strafe besser zu verstehen.
MEHR ZUM THEMA 40 JAHRE KAMPF GEGEN DIE TODESSTRAFE ERFAHREN
♦ Amerika − Teil 1 [klick hier]
♦ Afrika südlich der Sahara − Teil 2 [klick hier]
♦ Asien-Pazifik − Teil 3 [klick hier]
♦ Europa und Zentralasien – Teil 5 [klick hier]
♦ Naher Osten und Nordafrika – Teil 6 [klick hier]