Ein Bündnis von sieben Menschenrechtsorganisationen, darunter Amnesty International, hat in einer gemeinsamen Erklärung die singapurischen Behörden scharf kritisiert. Anlass sind fünf weitere Hinrichtungen, die im Oktober und November 2024 wegen drogenbezogener Straftaten in dem Zwergstaat vollzogen wurden. Die Organisationen verurteilen diese Maßnahmen als klaren Verstoß gegen internationale Menschenrechtsstandards und fordern ein sofortiges Moratorium für alle Hinrichtungen.
Hinrichtungen wegen Drogendelikten verstoßen gegen internationales Recht
Die jüngsten Exekutionen in Singapur betrafen Mohammad Azwan bin Bohari, der am 4. Oktober hingerichtet wurde, und einen weiteren Mann, dessen Todesurteil am 16. Oktober vollstreckt wurde. Beide wurden wegen Drogenbesitzes mit der Absicht des Handels verurteilt. Am 15. November 2024 wurden abermals zwei Männer wegen Drogenhandels durch den Strang hingerichtet, ein 53-jähriger Singapurer und ein 39-jähriger Malaysier. Laut internationalem Recht dürfen Todesstrafen nur für die „schwersten Verbrechen“ verhängt werden, die gemeinhin als vorsätzliche Tötungen definiert werden. Mehrere UN-Gremien, darunter der Internationale Suchtstoffkontrollrat, haben wiederholt betont, dass drogenbezogene Vergehen diesen Standard nicht erfüllen.
Ein weiterer problematischer Aspekt ist die Anwendung der zwingenden Todesstrafe in diesen Fällen, die Richtern keinen Ermessensspielraum lässt, um die besonderen Umstände einer Straftat oder den Hintergrund einer verurteilten Person zu berücksichtigen. Dies verstößt ebenfalls gegen internationale Menschenrechtsstandards, da es den Angeklagten das Recht auf ein faires Verfahren entzieht.
Singapur hat am 22. November 2024 mit Rosman bin Abdullah einen weiteren Mann hingerichtet. Der Delinquent war im September 2010 wegen Heroinhandels für schuldig befunden und zur obligatorischen Todesstrafe verurteilt worden. Das Todesurteil wurde an ihm vollstreckt, obwohl noch ein Rechtsmittel anhängig war. Dies ist ein Verstoß gegen internationale Schutzbestimmungen. Die Todesstrafe darf nicht vollstreckt werden, solange ein Berufungsverfahren oder ein anderes Rechtsmittelverfahren oder ein Verfahren im Zusammenhang mit einer Begnadigung oder einer Strafumwandlung läuft. Chiara Sangiorgio, Expertin für die Todesstrafe bei Amnesty International, kritisiert:
Die Exekution von Rosman bin Abdullah unterstreicht die erschreckende Entschlossenheit der Behörden Singapurs, die Todesstrafe weiterhin anzuwenden. Singapur gehört zu einer Handvoll Länder, die immer noch Menschen wegen Drogendelikten hinrichten. Dies muss sofort aufhören. Wir fordern die Behörden Singapurs erneut auf, sofort ein Moratorium für alle Hinrichtungen zu verfügen und die nationale Gesetzgebung zu überprüfen, um sicherzustellen, dass sie dringend mit dem Völkerrecht und den internationalen Vorschriften in Einklang gebracht wird. Singapur muss seine ersten Schritte unternehmen, um die Todesstrafe ein für alle Mal abzuschaffen.
In dem Stadtstaat Singapur wurden im Jahr 2023 insgesamt fünf Todesurteile vollstreckt und mindestens sechs verhängt. Auch in diesem Jahr haben schon wieder acht Exekutionen stattgefunden, sieben davon wegen Drogendelikten.
Verstärkte Repression gegen Menschenrechtsaktivisten
Parallel zu den Hinrichtungen beobachten Menschenrechtsorganisationen eine zunehmende Repression gegen Aktivisten in Singapur. Seit Anfang Oktober wurden mehrfach Anordnungen zur Korrektur „falscher Informationen“ gemäß dem „Protection from Online Falsehoods and Manipulation Act“ (POFMA) gegen Todesstrafengegner verhängt. Diese Zensurmaßnahmen zielen darauf ab, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen und eine offene Debatte über die Todesstrafe zu unterdrücken.
Besonders betroffen ist die „Transformative Justice Collective“ (TJC), eine zivilgesellschaftliche Gruppe, die sich aktiv gegen die Todesstrafe einsetzt. TJC-Mitglieder wurden aufgefordert, regierungskonforme „Korrekturen“ auf ihren Social-Media-Plattformen zu veröffentlichen. Der Aktivist Kokila Annamalai weigerte sich öffentlich, diesen Anordnungen nachzukommen, und kritisierte die POFMA-Maßnahmen als politisches Instrument zur Unterdrückung von abweichenden Meinungen.
Forderungen:
In einer gemeinsamen Erklärung fordern die sieben Menschenrechtsorganisationen von den singapurischen Behörden:
- Ein sofortiges Moratorium für alle Hinrichtungen sowie die Umwandlung bestehender Todesurteile.
- Ein Ende der Einschüchterung und Verfolgung von Aktivistinnen und Aktivisten, die sich gegen die Todesstrafe engagieren.
- Die Abschaffung repressiver Gesetze, die das Recht auf freie Meinungsäußerung einschränken, und die Sicherstellung, dass nationale Gesetzgebungen internationalen Menschenrechtsstandards entsprechen.
Die Organisationen rufen zudem die internationale Gemeinschaft dazu auf, den Druck auf die Regierung von Singapur zu erhöhen, um die Menschenrechte von zum Tode Verurteilten sowie derjenigen, die sich gegen die Todesstrafe einsetzen, zu schützen.
Fazit
Die Hinrichtungen in Singapur werfen ein Schlaglicht auf die menschenrechtlichen Defizite des Landes, insbesondere im Umgang mit drogenbezogenen Straftaten. Amnesty International und andere Menschenrechtsgruppen fordern ein sofortiges Umdenken und die Beendigung dieser grausamen Praxis. Es ist an der Zeit, dass die singapurische Regierung die internationalen Verpflichtungen zur Wahrung der Menschenrechte einhält und die Todesstrafe abschafft.
Zu den Unterzeichnenden gehören:
- Amnesty International
- Capital Punishment Justice Project
- ECPM – Together Against the Death Penalty
- Harm Reduction International
- MADPET– Malaysians Against Death Penalty and Torture
- Taiwan Alliance to End the Death Penalty
- World Coalition Against the Death Penalty
Finde die ganze Erklärung hier:
https://www.amnesty.org/en/documents/act50/8704/2024/en/