Der Japaner Iwao Hakamada hat fast fünf Jahrzehnte unrechtmäßig im Todestrakt verbracht und weitere zehn Jahre auf sein Wiederaufnahmeverfahren gewartet. Am 26. September 2024 erging ein lang erwartetes Urteil des Bezirksgerichts Shizuoka, das Iwao Hakamada, den Gefangenen mit der weltweit längsten Haftzeit in der Todeszelle, freisprach. Die Staatsanwaltschaft des Bezirks Shizuoka hatte bis zum 10. Oktober 2024 Zeit, um zu entscheiden, ob sie Berufung gegen dieses Urteil einlegen will. Nun gab die Staatsanwaltschaft die erlösende Mitteilung bekannt, dass sie gegen die Entscheidung, Iwao Hakamada von allen Anklagepunkten freizusprechen, keine Berufung einlegen wird. Damit sind die Entscheidung und die Erklärung seiner Unschuld endgültig.
Zum Hintergrund des Falles Iwao Hakamada
In seinem ersten Prozess wurde Hakamada wegen vierfachen Mordes an seinem Arbeitgeber und dessen Familie verurteilt, was größtenteils auf einem erzwungenen „Geständnis“ beruhte. Nach 20 Tagen Verhör durch die Polizei „gestand“ er die Tat, ohne dass ein Rechtsbeistand anwesend sein durfte. Hakamada widerrief sein „Geständnis“ während des Prozesses und behauptete, die Polizei habe ihn bedroht und geschlagen. Hakamada wurde 1968 vom Bezirksgericht Shizuoka zum Tode verurteilt und verbrachte über 45 Jahre in der Todeszelle. Er musste während dieser langen Haftzeit tagtäglich mit seiner Exekution rechnen, weil Todeskandidatinnen und -kandidaten erst am Morgen ihres Hinrichtungstages von der unmittelbar bevorstehenden Vollstreckung der Todesstrafe in Kenntnis gesetzt werden.
Im März 2014 wurde Hakamada vom Bezirksgericht Shizuoka ein Wiederaufnahmeverfahren gewährt und er wurde aus dem Gefängnis entlassen, nachdem DNA-Beweise aufgetaucht waren, die die Zuverlässigkeit seiner Verurteilung in Frage stellten.
Die Entscheidung, ein Wiederaufnahmeverfahren einzuleiten, basierte auf mehr als 600 Beweisstücken, die von der Staatsanwaltschaft offengelegt wurden. Diese Beweise untergruben die Legitimität früherer Beweise.
Im Juni 2018 hob das Oberste Gericht Tokio die Entscheidung des Untergerichts auf, das Hakamadas Wiederaufnahmeverfahren nach einer Berufung der Staatsanwaltschaft abgelehnt hatte. Hakamadas Anwälte legten Berufung gegen dieses Urteil ein, was dazu führte, dass der Oberste Gerichtshof Japans im Dezember 2020 die Entscheidung des Obergerichts aufhob und das Gericht aufforderte, die Berufung erneut zu prüfen. Schließlich schloss sich auch das Oberste Gericht in Tokio im März 2023 der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs an und ordnete eine Wiederaufnahme des Verfahrens an.
Das Wiederaufnahmeverfahren von Hakamada begann offiziell im Oktober 2023. Das erzwungene „Geständnis“ wurde von den Beweismitteln ausgeschlossen. Die Staatsanwälte haben sich seitdem weiterhin für die Aufrechterhaltung der Verurteilung und die Verhängung der Todesstrafe gegen Hakamada ausgesprochen.
Japan und die Todesstrafe
Japan führt weiterhin Hinrichtungen durch – auch von Personen, deren Berufungsverfahren noch anhängig waren, was einen Verstoß gegen internationale Schutzmaßnahmen darstellt, die den Schutz der Rechte von Personen garantieren, denen die Todesstrafe droht. Die letzte Hinrichtung in Japan wurde am 26. Juli 2022 vollzogen. Am 31. Dezember 2023 waren 107 der 115 Personen in der Todeszelle rechtskräftig zum Tode verurteilt und von der Hinrichtung bedroht. Diejenigen, die in der Todeszelle saßen, wurden weiterhin in Einzelhaft gehalten; und da es keine wirksamen Schutzmaßnahmen oder transparente regelmäßige psychiatrische Gutachten gibt, sind Menschen mit geistigen (psychosozialen) und intellektuellen Behinderungen weiterhin der Todesstrafe ausgesetzt, was gegen internationales Recht und internationale Standards verstößt.
Reaktionen von Amnesty International
Amnesty International lehnt die Todesstrafe in allen Fällen ausnahmslos ab, unabhängig von der Art oder den Umständen des Verbrechens, der Schuld, Unschuld oder anderen Merkmalen der Person oder der vom Staat angewandten Hinrichtungsmethode.
Als Reaktion auf den Freispruch des Japaners Iwao Hakamada, sagte Boram Jang, Ostasien-Expertin von Amnesty International:
„Wir sind überglücklich über die Entscheidung des Gerichts, Iwao Hakamada freizusprechen. Nachdem er fast ein halbes Jahrhundert unrechtmäßig inhaftiert war und weitere zehn Jahre auf sein Wiederaufnahmeverfahren warten musste, ist dieses Urteil eine wichtige Anerkennung für das tiefe Unrecht, das er den größten Teil seines Lebens ertragen musste. Es beendet den inspirierenden Kampf seiner Schwester Hideko und all derer, die ihn unterstützt haben, um seinen Namen reinzuwaschen.
Während wir diesen längst überfälligen Tag der Gerechtigkeit für Hakamada feiern, werden wir an den irreversiblen Schaden erinnert, den die Todesstrafe anrichtet. Wir fordern Japan nachdrücklich auf, die Todesstrafe abzuschaffen, um zu verhindern, dass sich so etwas wiederholt.
Die japanischen Behörden müssen auch alle bestehenden Todesurteile überprüfen, insbesondere wenn Bedenken hinsichtlich geistiger und intellektueller Behinderungen bestehen. Nur die vollständige Abschaffung der Todesstrafe wird sicherstellen, dass sich solche schwerwiegenden Fehler nie wiederholen und Menschen nicht unwiderruflich und willkürlich ihres Lebens beraubt werden. Amnesty International wird sich weiterhin für die Abschaffung der Todesstrafe und für Reformen einsetzen, die Fairness und Gerechtigkeit für alle gewährleisten.“
Statement in englischer Sprache von Amnesty International Japan am 11. Oktober 2024
Japan: Mr. Iwao Hakamada Found Not Guilty, Calls on Japanese Government to Abolish the Death Penalty and Reform the Criminal Justice System
The acquittal of Mr. Iwao Hakamada was finally confirmed after the Shizuoka District Public Prosecutor’s Office waived the right to appeal the case, which was due on October 10. Amnesty International Japan pays tribute to Mr. Hakamada and his sister Hideko, who continued to seek justice and win true freedom even after being sentenced to death, and at the same time strongly condemns the prosecutors who continued to violate his human rights and dignity for half a century, and urges the Japanese government to abolish the death penalty and reform the criminal justice system that has caused this suffering. We urge the Japanese government to urgently reform the criminal justice system and abolish the death penalty, which has caused this suffering.
On October 9, the Shizuoka District Public Prosecutor’s Office waived the right to appeal the case, which was due on October 10. The acquittal of Mr. Iwao Hakamada, 88, was finally confirmed after 58 years since his arrest, 44 years since his death sentence became final, and 15 trials since the retrial began in October 2023. This is not only a victory for Mr. Hakamada, his sister Hideko, and the defense team, but also a victory for the citizens who have long supported Mr. Hakamada by raising their voices for his human rights.
However, the huge amount of time that Mr. Hakamada has lost as a result of being sentenced to death based on the confession statement and evidence that was found to be fabricated in the September 26th verdict cannot be recovered. Furthermore, Mr. Hakamada will continue to struggle with detention syndrome caused by the many years he was deprived of his freedom in the detention center. We strongly condemn the prosecutors for depriving Mr. Hakamada and those around him of their lives for such a long period of time.
Such human rights violations under the state system must never happen again. Amnesty International Japan calls on the Japanese government to abolish the death penalty. We also call on the government to work promptly to reform the criminal justice system to correct the coerced confessions, limited access to evidence, and inadequate provisions for retrial procedures that have contributed to Mr. Hakamada’s long detention.
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