Amnesty International hat einen zutiefst beunruhigenden Trend aufgedeckt – eine deutliche Zunahme von Hinrichtungen in Iran. Allein im Jahr 2023 haben die iranischen Behörden eine schockierende Zahl von mindestens 853 Menschen exekutiert, was die höchste Zahl seit 2015 darstellt. Die mehr als 850 vollstreckten Todesurteile des Jahres 2023 bedeuten einen Anstieg um 48 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und verkörpern sogar eine Zunahme um 172 Prozent gegenüber dem Jahr 2021. Dieses besorgniserregende Ansteigen der Exekutionen hat Amnesty International dazu veranlasst, die iranischen Gefängnisse als Schauplätze von Massentötungen zu bezeichnen und die internationale Gemeinschaft aufzufordern, rasch und entschlossen zu handeln, um diese entsetzliche Situation zu ändern.
Amnesty konnte eine regelrechte Welle von Hinrichtungen feststellen, die sich gegen Demonstrierende, andere Dissidentinnen und Dissidenten sowie Nutzerinnen und Nutzer sozialer Medien aufgrund von Verhaltensweisen richten, die gar keine Straftaten darstellen, sondern vielmehr nach internationalen Menschenrechtsvorschriften geschützt sind. Anklagen wegen „Beleidigung des Propheten“ und „Apostasie“ sowie vagen „Tatbeständen“ wie „Feindschaft gegen Gott“ und „Korruption auf Erden“ wurden als Rechtfertigung verwendet, um ein Todesurteil zu begründen. Die iranischen Behörden scheinen vermehrt auf die Todesstrafe zurückgegriffen zu haben, insbesondere nach den Protesten der Frauen, die zwischen September und Dezember 2022 stattfanden. Es wird davon ausgegangen, dass die Behörden mit dieser verstärkten Anwendung der Todesstrafe bewusst versuchen, der eigenen Bevölkerung Angst einzujagen und ihre Macht zu festigen. Amnesty International vermutet, dass die tatsächliche Zahl der Hinrichtungen sogar noch deutlich höher liegen könnte als nach den jetzt veröffentlichten Daten, was noch mehr Anlass zur Sorge gibt. Mindestens 520 Todesurteile wurden nach grob unfairen Verfahren von Revolutionsgerichten gefällt. Unter den im Jahr 2023 Exekutierten waren auch mindestens fünf zur Tatzeit Minderjährige (Personen unter 18 Jahre), was einen gravierenden Verstoß gegen internationales Recht konstituiert. In sieben Fällen wurde die Todesstrafe im vergangenen Jahr öffentlich vollstreckt.
Eine weitere Ursache für die stark gestiegene Hinrichtungszahl des Jahres 2023 in Iran ist dem Umstand zuzuschreiben, dass mehr als die Hälfte der verzeichneten Exekutionen, mindestens 481, wegen Drogendelikten erfolgten. Amnesty hat immer wieder kritisiert, dass der Einsatz der Todesstrafe im Zusammenhang mit Betäubungsmittelstraftaten denkbar ungeeignet ist. Länder, die Drogendelinquenz mit der Todesstrafe ahnden, verstoßen damit außerdem gegen internationale Menschenrechtsvorschriften, die die Anwendung der Todesstrafe für Straftaten verbieten, die nicht die Schwelle der „schwersten Verbrechen“ erreichen. Gemeint sind hiermit ausschließlich Verbrechen, die eine vorsätzliche Tötung beinhalten.
Diese tödliche Drogenbekämpfungspolitik Irans hat überdies unverhältnismäßig starke Auswirkungen auf arme und marginalisierte Gemeinschaften, wie Amnesty feststellen konnte. Sie trägt zu einem Teufelskreis aus Armut und systemischer Ungerechtigkeit bei, der die Diskriminierung von ohnehin schon marginalisierten Gruppen noch verschärft. Unter ihnen ist die ethnische Minderheit der Belutschen offenbar besonders stark von diesen repressiven Maßnahmen betroffen.
Mehr dazu
Bitte lesen Sie den vollständigen (englischsprachigen) Bericht, um sich ein genaueres Bild von der erschütternden Situation in Iran zu machen. Der Bericht „Don’t Let Them Kill Us“: Iran’s Relentless Execution Crisis since the 2022 Uprising („Lass nicht zu, dass sie uns töten“: Irans unerbittliche Hinrichtungskrise seit dem Aufstand von 2022) steht [hier] zum Download bereit.
Eine ausführliche [Pressemitteilung] von Amnesty International in englischer Sprache übt zudem scharfe Kritik an der Hinrichtungspraxis Irans. Diese [Pressemitteilung] liegt auch in einer deutschen Version vor.
Was tun?
Der Aufruf von Amnesty International zu einem entschlossenen internationalen Handeln gegen diesen alarmierenden Anstieg der Hinrichtungen ist eine deutliche Mahnung in Bezug auf die dringende Notwendigkeit, die Menschenrechte zu schützen und Gerechtigkeit für alle zu gewährleisten. Werden Sie bitte aktiv. Richten Sie einen Appell an die iranische Botschaft bei der Europäischen Union in Brüssel. Eine Eilaktion inkl. Musterbrief ist [hier] bzw. [hier] online verfügbar.
Die Todesstrafe verstößt gegen das Recht jedes Menschen auf Leben und ist eine grausame, unmenschliche und entwürdigende Bestrafung. Amnesty International lehnt sie deshalb grundsätzlich und uneingeschränkt ab. Mittlerweile haben mehr als zwei Drittel aller Staaten weltweit die Todesstrafe per Gesetz oder zumindest in der Praxis abgeschafft. Der Trend, die Todesstrafe aufzugeben, ist nicht mehr umzukehren. Jedes Jahr wird der Kreis derjenigen Staaten, die auf die Todesstrafe verzichten, größer. Iran zählt zu den unrühmlichen Gegenbeispielen. Das Land sollte seine Position zur Todesstrafe unverzüglich überdenken und ein offizielles Hinrichtungsmoratorium in Kraft setzen – als Vorstufe zur Abschaffung der Todesstrafe.