Am 26. Januar 2024 ist Kenneth Eugene Smith im US-Bundestaat Alabama hingerichtet worden. Es war das erste Mal, dass ein Mensch in den USA, vermutlich auch weltweit, von staatlicher Seite mittels Stickstoff getötet wurde – einer völlig neuen Hinrichtungsmethode. UN-Expert*innen hatten in diesem Zusammenhang gewarnt, dass mit dieser neuartigen Hinrichtungsmethode möglicherweise gegen das Verbot der Folter (oder anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe) verstoßen werden könnte. Der Fall Kenneth Smith (58) war insofern besonders schockierend, als der Strafgefangene heutzutage nicht mehr zum Tode verurteilt werden könnte.
Die Problematik des „Judicial Override“
Im Frühjahr 1988 wurde Elizabeth Dorlene Sennett mit mehreren Stichverletzungen tot in ihrem Haus in Sheffield, Colbert County aufgefunden. Im betreffenden Gerichtsverfahren wurden von der Staatsanwaltschaft Beweise vorgelegt, dass der Ehemann der getöteten 45-jährigen Frau, Charles Sennett, ein Pastor, aufgrund von u.a. Schulden den Mord an ihr in Auftrag gegeben hatte. Auf Vermittlung des zunächst beauftragten Billy Gray Williams sollen Kenneth Smith, damals 22 Jahre alt und ein Mittäter (John Forrest Parker) die Tat für jeweils 1.000 Dollar begangen haben. In einem zweiten Strafprozess im Jahr 1996 verurteilte ein Geschworenengericht in Alabama Kenneth Smith wegen Mordes an Elizabeth Sennett und sprach sich mit 11 zu 1 Stimmen für eine lebenslange Freiheitsstrafe (ohne die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung auf Bewährung) aus. Nichtsdestotrotz überging der Tatrichter diese eindeutige Geschworenenentscheidung und erließ stattdessen ein Todesurteil gegen Smith. Diese gesetzlich vorgesehene höchstumstrittene Möglichkeit, dass Tatrichter*innen eine Entscheidung der Geschworenen (wie in diesem Fall) für eine lebenslange Freiheitsstrafe eigenmächtig in eine Verurteilung zum Tode „umwandeln“ konnten (sog. judicial override) ist seit 2017 auch in Alabama Geschichte, der als letzter US-Bundesstaat an dieser Praxis festhielt. Daten hatten belegt, dass eben diese Möglichkeit der Richter*innen von der Empfehlung der Geschworenen abzuweichen in einer überragenden Mehrzahl der Fälle dazu genutzt worden war, die Todesstrafe „im Alleingang“ zu verhängen, als umgekehrt in diesem Zusammenhang Milde walten zu lassen.
Heutzutage wäre ein richterliches Vorgehen wie im Fall Kenneth Smith nicht mehr denkbar, vielmehr ist der/die Tatrichter*in an die entsprechende Entscheidung der Geschworenen für eine lebenslange Freiheitsstrafe (ohne die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung auf Bewährung) gebunden. Der Umstand der längst überfälligen Abschaffung dieser stark kritisierten Regelung soll jedoch Personen, die bereits hierdurch zum Tode verurteilt worden waren, nicht weiterhelfen – die Gesetzesnovelle sieht keine rückwirkende Wirkung vor. Darin wird u.a. von Wissenschaftler*innen ein (evidenter) Verfassungsverstoß gesehen, zudem gibt es gesetzliche Bestrebungen, dies zu ändern. Trotzdem könnte Kenneth Smith die erste Person sein, die nach der Aufhebung dieser mehr als fragwürdigen Regelung – entgegen der Entscheidung der Geschworenen – hingerichtet wird.
Ein qualvoller Hinrichtungsversuch
Kenneth Smith kennt das Prozedere einer Hinrichtung schon. Er weiß, wie es ist, in die Todeszelle der Holman Correctional Facility, ca. 200 Kilometer entfernt von Montgomery, verlegt zu werden, in Handschellen und Fußketten den Exekutionsraum zu betreten und auf der Hinrichtungsliege mit Lederriemen festgeschnallt zu werden. Denn die Behörden wollten Kenneth Smith bereits am 17. November 2022 hinrichten. Aus dem Vorbringen seiner Rechtsbeistände geht hervor, dass Smith trotz eines zwischenzeitlich verfügten gerichtlichen Stopps seiner Exekution auf der Hinrichtungsliege festgezurrt wurde und (entgegen dem Protokoll) blieb – insgesamt über vier Stunden lang. Nachdem er bereits zwei Stunden in dieser Position verbracht hatte, wurde versucht, eine Vene zu finden, um einen intravenösen Zugang für das tödliche Gift zu legen. Dabei ist unklar, ob diese Bemühungen bereits vorgenommen wurden, bevor der zwischenzeitlich verfügte Stopp der Exekution durch den U.S. Supreme Court wieder aufgehoben worden war. Im weiteren Verlauf sollen die vergeblichen Bemühungen, eine Vene bei Smith zu finden, über 90 Minuten gedauert haben. Smith beschreibt in diesem Zusammenhang einen starken stechenden Schmerz, als würde „er [mit einem Messer] in die Brust gestochen werden“. Erst kurz vor Mitternacht wurde ihm mitgeteilt, dass es „vorbei“ sei, die Hinrichtung abgesagt wurde. Als Smith aus der Hinrichtungskammer geholt wurde, war ihm schwindelig, er zitterte, schwitzte, hyperventilierte und war weder in der Lage, seine Arme zu heben, um sich Handschellen anlegen zu lassen, noch konnte er ohne Hilfe gehen. Darüber hinaus war er übersät mit Einstichwunden.
Als Folge dieser Erfahrung litt Smith seither unter einer attestierten posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) mit Symptomen wie Albträumen, schweren Angstzuständen und Depression.
Eine ungetestete Hinrichtungsmethode
Nur 14 Monate nach diesem „verpfuschten“ Hinrichtungsversuch (2022 gab es in Alabama noch zwei weitere) beschlossen die Behörden, Kenneth Smith mittels einer sogenannten „Stickstoffhypoxie“ zu exekutieren.
Schon allein die Bezeichnung der Hinrichtungsmethode wird kritisiert, da diese eine wissenschaftliche Fundierung suggeriere, „medizinisch gesehen gibt es so etwas wie „Stickstoffhypoxie“ [aber] nicht“.
Das Einsetzen von Stickstoff als Hinrichtungsart ist, wie oben bereits erwähnt, völlig neu und in diesem Zusammenhang ungetestet. Der verurteilten Person soll hierzu eine Maske auf Mund und Nase gesetzt werden, durch welche diese gezwungen ist, reinen Stickstoff einzuatmen – laut Protokoll des Bundesstaates für zumindest 15 Minuten (oder fünf Minuten über den Zeitpunkt „der Nulllinie“ [auf dem EKG-Gerät] hinaus, je nachdem, was länger dauert). Stickstoff ist mit 78 % auch der Hauptbestandteil der „Luft“, bewirkt aber durch die Zuführung in der beschriebenen Weise den Tod durch Sauerstoffmangel (im Gehirn und in anderen lebenswichtigen Organen). Im Grunde handelt es sich also um eine Erstickungsmethode. Dabei ist anzumerken, dass die Amerikanische Vereinigung der Veterinäre in den USA (AVMA) diese (alleinige) Methode für das Einschläfern von fast allen Säugetieren nach ihren Richtlinien (2020) als „inakzeptabel“ ansieht. So hätten sich bei Tieren in Tests Panik- und Stressreaktionen (wie z.B. [schweres] Atmen mit offenem Mund/Keuchen und krampfartiges Verhalten) gezeigt. Daher wird (wenn Stickstoff genutzt werde) bei großen Tieren die Verabreichung eines Sedativs vorab empfohlen, dies ist nach dem Protokoll Alabamas hinsichtlich einer Exekution jedoch nicht vorgesehen. Trotz der womöglich einzuwerfenden Schwierigkeit der direkten Vergleichbarkeit von Menschen und Tieren, weisen jene Erkenntnisse jedenfalls auf mögliche Problematiken bei der Verabreichung eines tödlich wirkenden Gases hin, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass Menschen ein vorheriges Bewusstsein davon haben, was mit ihnen geschieht. Dies wiegt umso schwerer, wenn man bedenkt, dass Kenneth Smith erst vor 14 Monaten einen qualvollen Hinrichtungsversuch durchlebt habt, wobei auch die Frage gestellt wurde, was diesen in seiner Wirkung von einer Scheinhinrichtung als Foltermethode unterscheiden soll.
Unser Mandant wird zu einem Versuchsobjekt
Robert Grass, Anwalt
Zudem sind nach Meinung von Expert*innen noch zu viele Fragen bezüglich der neuen Hinrichtungsmethode offen. Das diesbezügliche Protokoll des Bundesstaats Alabama wird stark kritisiert, es sei „vage, schlampig und gefährlich“, ein „schneller und böser” Versuch, Stickstoffhypoxie als Hinrichtungsmethode einzusetzen und verhalte sich so zu vielen Bedenken der Expert*innen nicht. „Sie wüssten nicht, was sie tun.“ Denn keiner kann genau wissen, wie der Mensch und der menschliche Körper bei der erzwungenen Verabreichung von Stickstoff reagieren wird. Große Befürchtungen existieren auch bezüglich der konkreten Verabreichung des Stickstoffes über eine Maske und Schläuche – wird erstere z.B. eng genug sitzen können, um den Todeskampf durch ein Eindringen von Sauerstoff nicht noch zu verlängern? Ferner könnte die betroffene Person bei einem „Leck“ mit schweren Hirnschäden überleben. Außerdem bestünde nach Expert*innenmeinung die potenzielle Gefahr, sich in der Maske zu übergeben und an dem eigenen Erbrochenen ersticken zu müssen. Eine Angst, die auch Smith selbst äußerte. Auch ist nicht klar, wie sicher die Methode bei der Durchführung für andere Personen im Exekutionsraum ist, z.B. für den geistlichen Beistand, denn Stickstoff ist ein geruchs-, geschmack- und farbloses Gas. Reverend Jeff Hood, der geistliche Beistand Smiths, äußerte auch um die eigene Sicherheit besorgt zu sein und verwies darauf, dass er eine Verzichtserklärung diesbezüglich unterschreiben musste.
Wir befürchten, dass die „Stickstoffhypoxie“ zu einem schmerzhaften und erniedrigenden Tod führen wird
UN-Expert*innen
Jegliche Hinrichtung eines Menschen ist ungeachtet der Methode ausnahmslos abzulehnen. Doch lässt sich das Vorgehen der Behörden in diesem Fall zusätzlich als „experimentell“, einen „Versuch am Menschen“ durchführend ansehen. So wird beispielsweise von Seiten des UN-Menschenrechtsbüros (OHCHR) eindringlich gewarnt, dass diese unerprobte Hinrichtungsmethode des Erstickens durch Stickstoff einen Verstoß gegen das Verbot der Folter oder anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe darstellen könnte. Unabhängig davon, dass dies insgesamt niemals passieren dürfte, sollte als „Objekt“ hierfür ein Mann fungieren, der schon zuvor Qualen bei einer „verpfuschten“ Hinrichtung erleben musste, dadurch stärksten Ängsten ausgesetzt war und dessen Todesurteil nach dem jetzigen Stand des Rechts so nicht mehr verhängt werden dürfte, was allein schon gegen seine Exekution sprach.
Keine Gnade
Der US-Bundesstaat Alabama hat am 26. Januar 2024 das Todesurteil mit der umstrittenen Hinrichtungsmethode an Kenneth Smith vollstreckt, nachdem die Berufungen vor dem Obersten Gerichtshof der USA und anderen Gerichten abgelehnt worden waren. Die USA-Sektion von Amnesty International hat dazu diese [Erklärung] abgegeben und die deutsche Sektion mit dieser [Pressemitteilung] reagiert. Amnesty befürchtet, dass die Gerichte nun diese Hinrichtungsmethode häufiger genehmigen werden, und dass weitere Strafgefangene, deren Fälle juristisch abgeschlossen sind, unmittelbar gefährdet sind, auf diese Art und Weise getötet zu werden.
Dagegen
Amnesty International lehnt die Todesstrafe grundsätzlich und unter allen Umständen ab.
In den USA sind seit 1976 1.582 Menschen hingerichtet worden. Im Jahr 2023 wurden 24 Personen exekutiert. Alabama soll „pro Kopf“ mehr Straftäter*innen zum Tode verurteilen als jeder andere US-Bundesstaat.