Der 10. Oktober ist der Internationale und Europäische Tag gegen die Todesstrafe, kurz Welttag gegen die Todesstrafe. Seit 2003 wird er jährlich von der „Weltkoalition gegen die Todesstrafe“ (World Coalition against the Death Penalty − WCADP) ausgerufen, in diesem Jahr also bereits zum 21. Mal. Die WCADP ist eine internationale Dachorganisation, die sich die Abschaffung der Todesstrafe zum Ziel gesetzt hat. Amnesty International zählt zu den Gründern und ist eines ihrer führenden Mitglieder. Die Weltkoalition umfasst inzwischen über 150 Mitgliedsorganisationen.
Am 30. November folgt mit „Cities for Life – Städte gegen die Todesstrafe“ ein weiterer Aktionstag, der sich gegen diese ultimative Strafe richtet. Er wird seit 2002 von der in Rom ansässigen christlichen Laiengemeinschaft Sant’Egidio mit Unterstützung der Weltkoalition gegen die Todesstrafe organisiert. In Deutschland beteiligen sich fast 300 Städte und Gemeinden, die der Initiative „Cities for Life“ beigetreten sind. Unterschiedliche Öffentlichkeitsaktionen werden dabei am 30. November gestaltet, oftmals gemeinsam mit örtlichen Amnesty-Gruppen. Als markantes Zeichen für die Ablehnung der Todesstrafe lassen an diesem Tag viele Städte ein symbolträchtiges Bauwerk ihrer Gemeinde in besonderer Weise farbig anleuchten.
Ziel beider Aktionstage ist es, das Bewusstsein für die Anwendung der Todesstrafe zu schärfen, Aktivi-täten gegen diese Strafe zu unterstützen und Maßnahmen zu ergreifen, um dem „Endziel“ näher zu kommen: Die weltweite Abschaffung der Todesstrafe.
Die Todesstrafe befindet sich seit Jahren auf dem Rückzug. Insgesamt 144 von den knapp 200 Staaten der Erde haben die Todesstrafe entweder abgeschafft oder wenden sie derzeit nicht mehr an. Das bedeutet, dass mittlerweile mehr als zwei Drittel aller Staaten rund um den Erdball diese grausame, unmenschliche und weitgehend wirkungslose Strafe nicht mehr praktizieren. Dennoch sterben mutmaßlich mehrere tausend Menschen jährlich, weil sie zum Tode verurteilt wurden. Sie werden erhängt, erschossen, enthauptet oder vergiftet. Noch immer leben zwei Drittel der Weltbevölkerung in Staaten, die Todesurteile verhängen und vollstrecken können. Und dies, obwohl längst klar ist, dass die Todesstrafe mit grundlegenden Menschenrechten unvereinbar ist. Eine Exekution ist eine vorsätzliche Tötung eines Menschen durch den Staat und somit wie Folter eine Grenzüberschreitung. Amnesty betrachtet daher die Todesstrafe als einen nicht zu rechtfertigenden Eingriff des Staates in die unverletzlichen Rechte des Individuums.
Deshalb wendet sich Amnesty in allen Fällen vorbehaltlos gegen diese Strafe – ohne Ausnahme und unabhängig davon, welche Straftat jemand begangen hat, was die Täterin oder der Täter für ein Mensch ist oder welche Hinrichtungsmethode zur Anwendung kommt.
Verbrechen müssen geahndet werden, keine Frage. Doch Strafen dürfen nie Leben und Würde des Menschen antasten. Es gibt keinen Beweis dafür, dass die Todesstrafe eine stärkere Abschreckungswirkung hat als eine langjährige Haftstrafe. Das Risiko, Unschuldige hinzurichten, ist nie auszuschließen. Die Todesstrafe wird von Justizsystemen verhängt und vollstreckt, die nicht gegen Diskriminierung, Irrtümer und Missbrauch gefeit sind. Anlässlich des Welttages gegen die Todesstrafe bekräftigt Amnesty International erneut entschieden ihre klare Haltung gegen die Todesstrafe, zu jeder Zeit, an jedem Ort und unter allen Umständen.
Todesstrafe & Drogendelikte
Das Thema des diesjährigen Welttages ist die Anwendung der Todesstrafe für Betäubungsmittelstraftaten. Mehrere Länder ahnden Drogendelikte – zum Teil zwingend – mit der Todesstrafe und fällen jedes Jahr zahlreiche Todesurteile für Rauschgiftkriminalität. Von mindestens vier Ländern – China, Iran, Saudi-Arabien und Singapur – wurde bekannt, dass sie im Laufe des Jahres 2022 Menschen für Verstöße gegen Drogengesetze hingerichtet haben. Es ist sehr wahrscheinlich, dass solche Exekutionen auch in Vietnam stattgefunden haben, aber die dortige Geheimhaltung verhindert eine Bestätigung. Hinrichtungen wegen Rauschgiftstraftaten machten immerhin knapp 40 Prozent aller registrierten Exekutionen des Jahres 2022 aus.
Was spricht dagegen, Drogendelikte mit dem Tode zu bestrafen?
Todesurteile und Hinrichtungen für diesen Deliktsbereich sind schlicht illegal. Staaten, die Menschen im Zusammenhang mit Drogendelinquenz mit dem Tode bestrafen, verstoßen gegen internationale Menschenrechtsvorschriften. Denn Todesurteile dürfen höchstens dann verhängt werden, wenn es sich um im Völkerrecht definierte „schwerste Verbrechen“ handelt, d. h. ausschließlich Straftaten, die eine vorsätzliche Tötung beinhalten. Drogendelikte, also Drogenschmuggel, Drogenhandel, Drogenbesitz etc. fallen ausdrücklich nicht in die Kategorie der „schwersten Verbrechen“, auf die sich die Anwendung der Todesstrafe laut Völkerrecht und internationaler Standards beschränken muss. Dass Straftaten in Zusammenhang mit Drogen ein ernstes Problem darstellen und keineswegs „Kavaliersdelikte“ sind, versteht sich von selbst. Nichtsdestotrotz rechtfertigen sie nicht die Verhängung von Todesurteilen.
Ein weiteres Argument dagegen ist das schiere Ausmaß des Rückgriffs auf die Todesstrafe als Sanktion bei Drogendelikten sowie die Geheimhaltung rund um ihre Anwendung und der allgemeine Mangel an Daten. Es ist erschreckend, dass entgegen dem eindeutigen Verbot 36 Länder die Todesstrafe für Drogendelikte weiterhin gesetzlich beibehalten. Amnesty International hat für den Zeitraum 2018-2022 mehr als 700 Hinrichtungen aufgrund von Drogendelikten registriert. Ein Anstieg dieser Hinrichtungen in jüngster Zeit in einigen Ländern, darunter Iran, Singapur und Saudi-Arabien, macht deutlich, dass die Arbeit zu diesem Thema erneut dringend erforderlich ist. Die Abschaffung der Todesstrafe für Drogendelikte würde dazu führen, dass weltweit deutlich weniger Menschen dieser grausamen Strafe ausgesetzt sind. Wenn es um die Todesstrafe im Zusammenhang mit Drogendelinquenz geht, stellt Amnesty immer wieder Verstöße gegen das Recht auf ein faires Verfahren, einschließlich der Verletzung der Unschuldsvermutung und des Problems der zwingenden, also obligatorischen Verhängung der Todesstrafe im Fall von Betäubungsmittelstraftaten fest. Obligatorische Todesurteile sind willkürlicher Natur. Sie lassen den Richterinnen und Richtern keinen Spielraum bei der Strafzumessung und blenden die besonderen Umstände des Tatgeschehens oder des Täters / der Täterin – wie beispielsweise eine bestehende Drogenabhängigkeit – aus, die sich sonst möglicherweise strafmildernd ausgewirkt hätten. Bei der zwingenden Todesstrafe für Drogendelikte entscheidet ausschließlich die Grammzahl des vorgefundenen Rauschgifts die Frage über Leben oder Tod.
Amnesty hat des Weiteren in Bezug auf die Bestrafung von Betäubungsmittelstraftaten dokumentiert, dass Personen mit einem benachteiligten sozioökonomischen Hintergrund in diskriminierender Weise (und überproportional oft) von der Todesstrafe betroffen sind. Die Staatsangehörigkeit kommt bei der „tödlichen Lotterie“ als zusätzliches Problem hinzu. So waren beispielsweise in Malaysia ausländische Frauen, die wegen Drogendelikten das Todesurteil erhielten, im Todestrakt unverhältnismäßig oft vertreten.
Zudem ist nicht nur Amnesty International bekannt, dass es keine Hinweise darauf gibt, dass die Todesstrafe eine besondere abschreckende Wirkung hat. Auch drakonische Strafen haben keine Auswirkungen auf den Konsum und das Angebot von Drogen. Im Gegenteil, die Todesstrafe sorgt dafür, dass die Gewinnmargen der Drogenhändler und -kuriere im nun noch „gefährlicheren Geschäft“ steigen, was die Attraktivität von Drogenhandel und -schmuggel erhöht. Amnesty ist überzeugt, dass ein Paradigmenwechsel weg von strafenden Maßnahmen hin zu Alternativen, die die Menschenrechte besser schützen, notwendig ist. Das schließt schadensreduzierende Maßnahmen („Harm Reduction“) ein, eine Entkriminalisierung des Konsums und Besitzes von Drogen für den Eigenbedarf sowie die Umsetzung von Alternativen zur Kriminalisierung anderer geringfügiger und gewaltfreier Drogendelikte. Amnesty ist sich sicher, dass Armutsbekämpfung oder die Behandlung von Drogenabhängigen deutlich wirksamere Methoden sind als die drastische Todesstrafe.
Amnesty tritt auch dem Narrativ scharf entgegen, mit dem einige Regierungen diese Hinrichtungen rechtfertigen, nämlich zum Beispiel, dass die Todesstrafe ein „notwendiges Übel“ sei, das die Gesellschaft vor der „Geißel“ der Drogen schützt. Dieses Narrativ blendet nicht nur die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen aus, die mit diesem Verfahren verbunden sind, sondern entmenschlicht auch die Hauptbetroffenen, einschließlich der wegen Drogendelikten Verurteilten, ihrer Familien und Vertreter.
Schwerpunktland Singapur
Amnesty möchte sich zum Welttag gegen die Todesstrafe besonders auf das Beispiel Singapur fokussiert, jenem Insel- und Stadtstaat im Südosten Asiens, südlich von Malaysia. Singapur verfolgt einen unnachgiebigen Kurs bei Drogendelikten. Das Land hat extrem strenge Gesetze, wenn es um die Ahndung von Straftaten wie Drogenbesitz oder -handel geht. Der Stadtstaat hat zwischen dem 30. März 2022, als die Hinrichtungen nach einer zweijährigen Unterbrechung wieder aufgenommen wurden, und dem 15. September 2023 16 Menschen wegen Drogendelikten durch den Strang hingerichtet und zahlreiche Todesurteile wegen Rauschgiftkriminalität gefällt. Es ist überaus beunruhigend, dass nach Feststellungen von Amnesty in Singapur Todesurteile nach Gerichtsverfahren verhängt werden, die nicht den höchsten Standards für ein faires Verfahren entsprechen, u. a. durch gesetzliche Schuldvermutungen, die gegen die Unschuldsvermutung verstoßen, oder durch Verwendung von Aussagen, die von der Polizei in Abwesenheit eines Anwalts / einer Anwältin erlangt wurden. Singapur ist ein Paradebeispiel dafür, dass auch eine stark bestrafende Drogenpolitik es nicht geschafft hat, weder den Konsum und die Verfügbarkeit von Drogen zu bekämpfen noch vor drogenbedingten Folgeschäden zu schützen.
Die Regierung Singapurs muss dringend Maßnahmen zur Reform der Todesstrafe ergreifen, anstatt neue Hinrichtungen zu veranlassen. Amnesty fordert daher von der Regierung als erste entscheidende Schritte zur vollständigen Abschaffung der Todesstrafe ein offizielles Moratorium für alle Hinrichtungen zu erlassen, die Strafen aller Betroffenen umzuwandeln, die zwingende Todesstrafe einschließlich jene für Drogendelikte abzuschaffen und die Gerichtsverfahren vollständig mit den internationalen Standards für ein faires Verfahren in Einklang zu bringen. Amnesty verlangt, die nationale Gesetzgebung zu überprüfen, um sie den internationalen Menschenrechtsnormen und -standards anzupassen.
Zweifelhafte Todesurteile
Wie sehr Reformbedarf besteht, zeigt das folgende Beispiel. Tangaraju s/o Suppiah (Foto rechts) wurde am 26. April 2023 in Singapur hingerichtet. Gegen den 46-Jährigen war wegen Beihilfe zum Handel mit etwa 1 kg Cannabis das Todesurteil ergangen, denn der Schmuggel oder Handel von mehr als 500 Gramm dieses Rauschgifts zieht in dem Stadtstaat zwingend die Todesstrafe nach sich.
Tangaraju s/o Suppiah wurde beschuldigt, im September 2013 mit zwei Männern den Handel mit Cannabis verabredet zu haben, gelangte jedoch nie in den Besitz der Drogen, die er vermeintlich bestellt hatte. Sein Schuldspruch beruhte hauptsächlich auf Angaben aus seiner polizeilichen Vernehmung, die ohne Rechtsbeistand und Dolmetscher*in (seine Muttersprache ist Tamil) durchgeführt wurde, sowie auf der Aussage seiner beiden Mitangeklagten, von denen einer freigesprochen wurde. Das Besondere an seinem umstrittenen Fall ist der Umstand, dass ihm nie vorgeworfen wurde, die betreffende Droge besessen oder selbst geschmuggelt zu haben. Vielmehr lautete die Anklage, er sei „verschwörerisch“ in einen entsprechenden Deal zum Schmuggel verwickelt gewesen. Als Beweis diente dem Gericht seine Handynummer, die in Mobiltelefonen zweier Personen gespeichert gewesen sein soll, die mit dem Cannabis erwischt wurden. Diese traten im Prozess als Belastungszeugen auf.
Tangaraju hatte stets bestritten, mit dem beschlagnahmten Kilo Cannabis etwas zu tun zu haben und hatte nach eigener Aussage zu der fraglichen Zeit gar keinen Zugang zu der ihn belastenden Telefonnummer, weil er das Mobiltelefon nach seinen Angaben vor der Straftat verloren hatte. Darüber hinaus konnte die Staatsanwaltschaft einen vierten Mann nicht ausfindig machen, den die Richter*innen als wesentlich zur Bestätigung der von den Mitangeklagten getätigten Aussagen ansahen. Zudem wurden weder die Aussagen der Mitangeklagten noch die fraglichen Mobilfunkdaten für die Verteidigung offengelegt. Trotz der Ungereimtheiten wurde das Todesurteil erlassen und dieses auch im Berufungsverfahren bestätigt. In der Berufungsverhandlung hatte Tangaraju keinen Rechtsbeistand. In Ländern, in denen die Todesstrafe noch nicht abgeschafft wurde, schreiben internationale Schutzmechanismen vor, dass die Todesstrafe nur dann verhängt werden darf, wenn die Schuld der angeklagten Person in eindeutiger und überzeugender Weise, die keine andere Erklärung des Sachverhalts zulässt, nachgewiesen wurde. In Singapur wird bei jeder Person, der der Besitz bestimmter Mengen verbotener Substanzen nachgewiesen wird, davon ausgegangen, dass sie Kenntnis sowohl von der gefundenen Substanz als auch von deren Menge hatte und dass sie diese zum Zwecke des Handels in ihrem Besitz hatte. Die beschuldigte Person muss dann das Gegenteil beweisen, was einen Verstoß gegen das Prinzip der Unschuldsvermutung darstellt. Nachdem das Gericht zu der Überzeugung gekommen war, dass Tangaraju s/o Suppiah in den Handel mit mehr als 1 kg Cannabis verwickelt war, wurde ihm angesichts der Menge der Vorsatz unterstellt, mit der Substanz Handel treiben zu wollen.
Was könnt ihr tun?
Es ist aus Sicht von Amnesty beschämend, dass Regierungen – wie die Singapurs – weiterhin Menschen wegen gewaltloser Drogendelikte exekutieren lassen. Sendet bitte einen Appell an den Premierminister Singapurs und fordert ihn auf, sich für Maßnahmen gegen die Todesstrafe einzusetzen.
Eine Appellpostkarte könnt ihr [hier] downloaden. Oder ihr unterzeichnet eine Petition. Eine Kopiervorlage für eine Petitionsliste findet ihr [hier] .
Mehr dazu
- Bericht über die weltweite Anwendung der Todesstrafe im Jahr 2022 (deutsch) [Link]
- Öffentliche Stellungnahme von Amnesty International zum Welttag gegen die Todesstrafe (englisch) [Link]
- Briefing zur Anwendung der Todesstrafe für Betäubungsmittelstraftaten, dem Thema des diesjährigen Welttags (englisch) [Link]
Danke für eure wertvolle Unterstützung!