Schreckliche Hinrichtungswelle in Iran

In der Islamischen Republik Iran ist zurzeit (wieder) ein erschreckender Anstieg der Hinrichtungszahlen zu beobachten. Damit setzt sich der grausame Trend aus dem letzten Jahr, in dem Amnesty International mindestens 576 vollstreckte Todesurteile und somit einen Anstieg um 83 Prozent gegenüber dem Vorjahr registrierte, nicht nur weiter fort, sondern vielmehr zeichnet sich eine unfassbare Steigerung ab.

Fast 1.000 Exekutionen für 2023 erscheinen möglich

So wurden nach neuesten Zahlen von Amnesty International allein in den ersten fünf Monaten dieses Jahres insgesamt mindestens 282 Menschen hingerichtet. Damit sind im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres fast doppelt so viele Exekutionen erfasst worden. Im Durchschnitt sind allein im Mai drei Menschen pro Tag gehenkt worden. Nach Meldungen von Human Rights Watch haben die Behörden in einer kurzen Zeitspanne seit dem 25. April 2023 mehr als 60 Menschen im ganzen Land gehängt (Stand 12. Mai 2023). Wenn die iranischen Behörden die Todesstrafe in diesem alarmierenden Tempo weiterhin vollstrecken, könnten sie die Zahl von fast 1.000 hingerichteten Personen bis zum Ende des Jahres erreichen.

Zahl der Hinrichtungen im Zusammenhang mit Drogendelikten fast verdreifacht

Der Vollzug der Todesstrafe durch die iranischen Behörden richtet sich aktuell vor allem gegen Personen, die wegen Drogendelikten verurteilt wurden. So sind 2023 bereits mindestens 173 Menschen in diesem Zusammenhang exekutiert worden, was fast eine Verdreifachung der Zahl gegenüber dem Vorjahr (im entsprechenden Zeitraum) darstellt – damals sind mindestens 67 Hinrichtungen registriert worden. Zwei Drittel aller Exekutionen in den ersten fünf Monaten dieses Jahres erfolgten somit wegen (angeblicher oder tatsächlicher) Drogendelikte. Dabei zählte das Land auch schon im Jahr 2022 in Bezug auf Betäubungsmittelstraftaten zu den global aktivsten Vollstreckern der Todesstrafe. Nach Zahlen von Amnesty International entfielen von weltweit 325 bestätigten Exekutionen wegen Drogenvergehen im Jahr 2022 ganze 255 auf Iran (die Zahlen sind wiederum als Mindestangaben zu verstehen, zumal einige Länder wie z. B. Volksrepublik China Daten zu diesem Deliktsbereich unter Verschluss halten). Und derzeit spitzt sich diese dramatische Lage weiter zu.

„Die schamlose Geschwindigkeit, mit der die iranischen Behörden Menschen wegen Drogendelikten hinrichten lassen, offenbart ihren Mangel an Menschlichkeit und ihre eklatante Missachtung des Rechts auf Leben. Diese Hinrichtungen verstoßen gegen das Völkerrecht. Sie werden gezielt als Instrument der Unterdrückung und Einschüchterung genutzt“, sagt Julia Duchrow, stellvertretende Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International.

Exekutionen wegen Drogendelikten – (auch) ein „war on the poor“

Dabei trifft die Todesstrafe in diesem Bereich vor allem Personen aus marginalisierten sozioökonomischen, von Armut geprägten Verhältnissen sowie ethnische Minderheiten. So waren allein fast 20 Prozent der aktuell wegen Drogendelikten hingerichteten Personen in Iran Angehörige der verarmten und verfolgten ethnischen Minderheit der Belutschen, obwohl diese nur ca. fünf Prozent der iranischen Gesamtbevölkerung ausmachen. Auch insofern setzt sich ein zutiefst trauriger Trend fort, denn z. B. auch in den Jahren 2021 und 2022 haben Berichten zufolge Angehörige ethnischer Minderheiten (wie Belutschen*in, Ahwazi-Araber*in, Kurden*in, Afghanen*in sowie Flüchtige) im Zusammenhang mit Betäubungsmittelstraftaten überproportional oft ihr Leben durch den Vollzug der Todesstrafe verloren.

Diesbezüglich äußerte Roya Boroumand (Executive Director des Abdorrahman Boroumand Centers) bereits zuvor, dass die unverhältnismäßig häufige Anwendung der Todesstrafe „die tief verwurzelte Diskriminierung und Unterdrückung [der Belutschen*innen], der sie seit Jahrzehnten ausgesetzt sind“, widerspiegelt. Zudem wird hierdurch „die inhärente Grausamkeit der Todesstrafe hervorgehoben, die sich gegen die am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen in Iran und weltweit richtet“.

Insgesamt sind speziell „Drogenstraftaten“ in einer besonderen Weise mit sozialen Umständen und Strukturen, wie Armut, Arbeitslosigkeit oder etwa auch eigener Rauschmittelabhängigkeit verknüpft, so dass Hinrichtungen in diesem Bereich zumeist die „Ärmsten“ betreffen und der „war on drugs“ (auch) als ein tödlicher „war on the poor“ erscheint.

Nach starker internationaler Kritik (unter Androhung der Streichung von Geldern) und dem (wiederholten) Hinweis, dass hohe Hinrichtungszahlen nichts an den Drogenproblemen des Landes geändert hatten, wurde in Iran 2017 zwar eine Reform des extrem harten Betäubungsmittelstrafrechts vorgenommen, doch war der Rückgang der Hinrichtungszahlen (in diesem Bereich), wie befürchtet, nicht von Dauer. Vielmehr zeigt sich, dass Iran die Todesstrafe (erneut) zur Machtdemonstration, Einschüchterung und Unterdrückung einsetzt – im Hinblick auf Betäubungsmittelstraftaten insbesondere gegen ethnische Minderheiten und Personen aus wirtschaftlich benachteiligten Verhältnissen.

Verhängung der Todesstrafe nach äußerst unfairen Verfahren

Hinrichtungen im Zusammenhang mit Drogendelikten basieren dabei oft auf mangelhaften Ermittlungen der involvierten Behörden. Zudem weist der UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte in Iran – für diesen spezifischen Bereich, aber auch generell – darauf hin, dass Beschuldigte in der Ermittlungsphase (z. B.) häufig Opfer von Folter oder anderen Misshandlungen werden und die Behörden sie in Einzelhaft isolieren – ohne Kontakt zu einem Rechtsbeistand. Hinzukommt, dass Drogendelikte – wie auch „politische Delikte“, die vor allem auch in Verfahren gegen Demonstrierende im Zusammenhang mit Protesten im Land eine Rolle spielen – in Iran vor den sog. Revolutionsgerichten verhandelt werden. Es kann nur betont werden, dass es sich hierbei keinesfalls um normale Strafgerichte handelt, die sich der Durchführung von rechtsstaatlichen, fairen Verfahren und einer justizförmigen Wahrheitsfindung verschrieben haben. Mit letzteren haben Prozesse vor den Revolutionsgerichten nichts gemeinsam, vielmehr werden prozessuale Mindeststandards, die dem Schutz der angeklagten Person dienen, dieser systematisch vorenthalten. So wird Angeklagten u. a. der Zugang zu einem Rechtsbeistand ihrer Wahl und zu relevanten Beweismitteln verwehrt, ihnen in den Schnellverfahren kaum (bis gar keine) Zeit eingeräumt, sich gegen das drohende Todesurteil zu verteidigen, Angeklagte sehen sich voreingenommenen Richtern gegenüber (welche teilweise bereits als „Strangrichter“ verschrien sind) und „Geständnisse“, die auf Folter oder anderen Misshandlungen beruhen, werden verwertet, um Personen schuldig zu sprechen. Entsprechend berichtete ein zum Tode Verurteilter, dem eine Betäubungsmittelstraftat vorgeworfen wurde, dass es keinen Unterschied mache, wie man auf die Frage des Gerichts, ob das (in Rede stehende) Rauschmittel einem gehöre, antworte, ein diesbezüglicher Widerspruch werde überhört und (so oder so) erfolge eine Verurteilung (zum Tode). Somit zeigt sich, dass in der Verweigerung von prozessualen Mindestrechten und den weiteren Umständen der sogenannten „Prozesse“ ein riesiges Missbrauchspotenzial liegt und Menschen hierdurch willkürlich ihr Leben verlieren (können).

Zusätzlich: wirtschaftliche Härten für Angehörige und ein Geschäft mit der Verzweiflung

Neben den unvorstellbar grausamen persönlichen Folgen für die Familien, verlieren jene – aus ärmlichen Verhältnissen – durch die Todesstrafe häufig ihren einzigen „Ernährer“. Außerdem verschulden sie sich (zusätzlich) hoch bzw. geben sogar alles auf, um trotz der genannten Umstände eine Chance zu haben, ihre Angehörigen zu retten – zumeist wohl vergebens. Des Weiteren wird in Bezug auf die gerichtlich bestellten, regimetreuen „Rechtsbeistände“, die Angeklagte anstatt eines Wahlverteidigers akzeptieren müssen, immer wieder bekannt, dass jene horrende Geldbeträge von den Familien verlangen, um überhaupt tätig zu werden bzw. sie diesen falsche Versprechungen machen. Ein Angehöriger einer zum Tode verurteilten Person äußerte gegenüber Amnesty International, sie [die Familie] hätte alles, was sie besaß, verkauft, um ihn [den bestellten Anwalt] zu bezahlen, sogar ihre Schafe – doch dieser sei schlicht mit dem Geld verschwunden.

Eine Vielzahl schrecklicher Einzelschicksale

Wie bereits erwähnt, finden vor Revolutionsgerichten, die für die Mehrzahl der Todesurteile verantwortlich sind, auch „Verfahren“ wegen politischer Delikte (wegen „Verderbenstiften auf Erden“ [auch Verdorbenheit oder Korruption auf Erden genannt], „Kampf gegen Gott“ [auch: Feindschaft zu Gott] und „bewaffneter Rebellion [gegen den Staat]“) statt, die Demonstrierende und Dissidenten*innen involvieren – unter denselben unerträglichen Bedingungen.

Allein in diesem Jahr wurden bereits fünf Demonstrierende im Zusammenhang mit den Protesten im Land hingerichtet, Mohammad Mehdi Karami und Seyed Mohammad Hosseini (am 7. Januar 2023) sowie Majid Kazemi, Saleh Mirhashemi und Saeed Yaghoubi (am 19. Mai 2023), damit stieg die diesbezügliche Zahl auf sieben, Mohsen Shekari und Majidreza Rahnavard sind bereits im Dezember 2022 exekutiert worden. Ihre Fälle beinhalten Folter und andere Misshandlungen, Vorverurteilungen und äußerst unfaire „Verfahren“. Zudem sind viele weitere Personen diesem Kontext von Todesurteilen bzw. Hinrichtungen akut bedroht. Und auch hinsichtlich anderer politischer Dissidenten*innen besteht (weiterhin) diese Gefahr. Ein trauriges Bespiel stellt dabei der Fall des Deutsch-Iraners Jamshid Sharmahd dar, der in Iran jederzeit exekutiert werden könnte.

Daneben richteten die iranischen Behörden zuletzt auch Menschen wegen Vorwürfen wie „Ehebruch“ mit einer verheirateten Frau (der Hingerichtete wurde Berichten zufolge als Ahmad Nikouyi identifiziert) und (im Fall von zwei Nutzern Sozialer Medien, Yousef Mehrdad und Sadrollah Fazeli Zare) u. a. wegen „Apostasie“ und „Beleidigung des Islamischen Propheten“ hin.

Anwendung der Todesstrafe unter Verletzung des Völkerrechts

Neben den verfahrensbezogenen Verstößen gegen internationales Recht und internationale Standards missachtet Iran in vielen Fällen die durch das Völkerrecht gezogene Grenze der „schwersten Verbrechen“. Nach Artikel 6 Abs. 2 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR), den Iran ratifiziert hat, darf die Todesstrafe in Ländern, die die Todesstrafe noch beibehalten, nur für „schwerste Verbrechen” verhängt werden. Der UN-Menschenrechtsausschuss, das Gremium, welches für die Auslegung des Paktes zuständig ist, versteht darunter nur Verbrechen von „äußerster Schwere“, die eine vorsätzliche Tötung beinhalten. Entsprechend wurde wiederholt betont, dass Drogendelikte nicht darunter fallen. Zudem wurde hervorgehoben, dass die Todesstrafe niemals in Bezug auf Verhaltensweisen verhängt werden darf, deren Kriminalisierung allein gegen den Pakt verstößt, wozu (u. a.) „Ehebruch“, „Apostasie“, die „Beleidigung eines Staatsoberhauptes“ oder „Homosexualität“ gezählt werden.

Außerdem hat Iran im letzten Jahr mindestens fünf Personen hingerichtet, die zum Zeitpunkt, als sie die Tat begangen haben sollen, noch unter 18 Jahre alt waren. Art. 6 Abs. 5 IPBPR verbietet jedoch die Verhängung der Todesstrafe in einem solchen Fall (ebenso Art. 37 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes), was bedeutet, dass eine Person wegen dieser Straftat nie mit der Todesstrafe belegt werden darf, egal wie alt sie zum Zeitpunkt des Urteils oder der vorgesehenen Vollstreckung ist. Nach Informationen der UN sollen sich mindestens 85 sogenannte „child offender” im iranischen Todestrakt befinden (Stand Februar 2023). Zuletzt hatten die iranischen Behörden in diesem Kontext die Hinrichtung von Hossein Shahbazi (22 Jahre alt) für den 28. Mai 2023 angesetzt. Dieser war zum Zeitpunkt der ihm vorgeworfenen Tat 17 Jahre alt, seine „geständigen Einlassungen“ sollen zudem auf Folter beruhen. Im Fall Shahbazi waren schon mehrfach Hinrichtungstermine anberaumt worden, was einen (zusätzlichen) unfassbaren Leidensdruck für ihn und seine Angehörigen bedeuten muss. Auch die nun terminierte Exekution wurde verschoben – aber keiner weiß, für wie lange.

Der massenhafte und grausame Einsatz der Todesstrafe reißt nicht ab

Nach alledem ist zu bedenken, dass dies nur einen kleinen Ausschnitt der Anwendung der Todesstrafe und der Einzelschicksale in dieser dramatischen Lage in Iran darstellt und die angegebenen Zahlen alle als Mindestwerte zu verstehen sind. Die tatsächlichen Zahlen dürften bedingt durch die mangelnde behördliche Transparenz – gerade im Bereich der Drogendelikte – noch höher liegen. Und die aktuelle Hinrichtungswelle, sie scheint ihren Höhepunkt noch lange nicht erreicht zu haben.

Vorbehaltlos gegen die Todesstrafe

Im Einsatz als Repressionsmittel gegen Minderheiten, strukturell Benachteiligte und Andersdenke erweist sich diese unmenschliche Strafe als besonders grausam.

Amnesty International lehnt die Todesstrafe grundsätzlich und ohne Ausnahme ab, ungeachtet der Art und Umstände des Verbrechens, der Schuld oder Unschuld der Person oder der Hinrichtungsmethode.

Was könnt ihr tun, um zu helfen?

Auf der Website „amnesty.org.“ ist eine globale Petition im Zusammenhang mit der schrecklichen Hinrichtungswelle (in englischer Sprache) zu finden:
https://www.amnesty.org/en/petition/stop-the-execution-spree-in-iran/

Setz dich für Menschen in akuter Gefahr ein und beteilige dich an Eilaktionen!

Urgent Actions (Eilaktionen) sind die denkbar schnellste und effektivste Form des Eingreifens, um das Leben bedrohter Menschen zu schützen.

Aktuelle Urgent Actions zu drohenden Hinrichtungen in Iran sowie weitere Informationen findest du hier:

– UA im Kontext mit den Protesten:
https://www.amnesty.de/mitmachen/urgent-action/iran-drohende-hinrichtungen-im-zusammenhang-mit-protesten-2023-05-23?ref=979602

– UA zum Fall Jamshid Sharmahd:
https://www.amnesty.de/mitmachen/urgent-action/iran-deutsch-iraner-jamshid-sharmahd-zum-tode-verurteilt-2023-04-03?ref=979602

– UA: Sechs Männern der verfolgten arabischen Minderheit der Ahwazi droht Hinrichtung:
https://www.amnesty.de/mitmachen/urgent-action/iran-drohende-hinrichtungen-2023-05-15?ref=979602

– UA: Hossein Shahbazi droht weiterhin die Vollstreckung seines Todesurteils:
https://www.amnesty.de/mitmachen/urgent-action/iran-hossein-shahbazi-droht-hinrichtung-2023-05-26-0?ref=979602

– UA: Vier Belutschen von Hinrichtung bedroht:
https://www.amnesty.de/mitmachen/urgent-action/iran-vier-jungen-belutschen-droht-unmittelbar-die-hinrichtung-2023-03-07?ref=979602

– Pressemitteilung zum aktuellen Anstieg der Zahlen in Iran (deutsch):
https://www.amnesty.de/allgemein/pressemitteilung/iran-anstieg-hinrichtungen-drogendelikte-todesstrafe

Informationen zum Bilanzbericht zur weltweiten Anwendung der Todesstrafe 2022: Zusammenfassung des Berichts in deutscher Sprache:
https://amnesty-todesstrafe.de/wp-content/uploads/325/ACT50-6548-2023_bericht.pdf

6. Juni 2023