Deutsch-iranischer Dissident akut in Iran von Hinrichtung bedroht

In Iran tobt eine Hinrichtungswelle. Auch einem deutschen Staatsbürger droht der Galgen.

Die iranische Führung ist für 65 Prozent der weltweit bekannt gewordenen Hinrichtungen im vergangenen Jahr verantwortlich. Im Vergleich zu 2021 nahmen dort die Exekutionen um 83 Prozent zu. Das starke Ansteigen war im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass im Vergleich zum Vorjahr vermehrt Todesurteile wegen Mordes und Drogendelikten verhängt und vollstreckt wurden. Auch in dem Versuch, den Massenprotesten für „Frauen . Leben . Freiheit“ ein gewaltsames Ende zu setzen, ließ die iranische Justiz bereits mindestens sieben Demonstrierende hinrichten.

Jamshid Sharmahd ist in Iran akut von der Hinrichtung bedroht.

Der deutsch-iranische Dissident war im Februar 2023 von einem Revolutionsgericht nach einem äußerst unfairen Gerichtsverfahren wegen des unbestimmten Delikts des „Unruhestiftens auf Erden“ (auch: Verdorbenheit auf Erden [ifsad fil-arz]) zum Tode verurteilt worden. Das Todesurteil gegen den Deutsch-Iraner wurde am 26. April 2023 durch den Obersten Gerichtshof in Iran bestätigt. Nun könnte der 68-Jährige jederzeit hingerichtet werden, dies gilt insbesondere im Hinblick auf den derzeitigen erschreckenden Anstieg der Hinrichtungszahlen in Iran (siehe dazu auch den neuesten Bericht von Amnesty International zur weltweiten Anwendung der Todesstrafe) und die Exekution des schwedisch-iranischen Doppelstaatsbürgers Habib Chaab, welche bereits am 6. Mai 2023, nur kurze Zeit nach der letztinstanzlichen Bestätigung seines Todesurteils, erfolgte.

Was ist im Fall Jamshid Sharmahd geschehen?

Im Juli 2020 war Jamshid Sharmahd während einer Geschäftsreise und eines Zwischenstopps in Dubai von Angehörigen des iranischen Geheimdienstes entführt und gegen seinen Willen nach Iran verbracht worden. Die iranischen Behörden beschuldigen den in Deutschland aufgewachsenen Sharmahd, Terroranschläge geplant und ausgeführt sowie mit ausländischen Geheimdiensten (USA und Israel) kooperiert zu haben. Die Vorwürfe sollen dabei im Kontext mit Sharmahds Engagement für die Exil-Oppositionsgruppe „Tondar“ (auch: „Kingdom Assembly of Iran“) stehen, die sich für die Wiedereinführung der Monarchie und die Opposition in Iran einsetzt. Sharmahd hatte in den USA, wo er zuletzt lebte, für die Gruppe eine Website eingerichtet und betrieben sowie (anonyme) Nachrichten, die auf dieser eingestellt werden konnten, bei Radio- und Videosendungen verlesen. Von iranischer Seite wird die Gruppierung für eine Bombenexplosion 2008 in Schiras mit 14 Toten verantwortlich gemacht – ob dies zutrifft, ist jedoch unklar. Jamshid Sharmahd und seine Familie haben die Vorwürfe gegen ihn immer bestritten – laut Medienberichten sind diese (objektiv) nicht überprüfbar. Vielmehr wird vermutet und geäußert, dass Sharmahd durch sein Engagement für die Opposition in Iran in den Fokus der iranischen Behörden rückte.

Seit seiner willkürlichen Entführung ist der Diplom-Ingenieur und Journalist inhaftiert, sein Haftort wird von den iranischen Behörden aber seit langem geheim gehalten. Mit seiner Familie durfte er seit Ende September 2021 nur drei Mal kurz und überwacht telefonieren. Sharmahd ist seinen Angaben nach Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt gewesen. Er wurde systematisch isoliert, in einer winzigen Gefängniszelle, in der er auf dem Boden schlafen muss, ohne Tageslicht und Kontakt zu anderen Gefangenen oder der Außenwelt. Zudem wird ihm eine benötigte medizinische Versorgung gezielt verweigert. So erhält er zum einen seine notwendigen Medikamente (u. a. für eine Parkinsonerkrankung) nur verzögert, was Schmerzen und Atemnot verursacht. Zum anderen wurde ihm eine zahnmedizinische Behandlung versagt, obwohl nur noch zwei seiner Zähne intakt sind. Diese schrecklichen Bedingungen – er befindest sich bereits über 1.000 Tage in Einzelhaft – haben zu einer drastischen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes, zu Gleichgewichtsstörungen und einem Gewichtsverlust von 20 kg geführt.

Schon vor Prozessbeginn wurde Sharmahd mittels inszenierter Propagandavideos vorverurteilt. Diese wurden im staatlichen Fernsehen ausgestrahlt und zeigen seine erzwungenen geständigen Einlassungen (teilweise mit verbundenen Augen) zu der angeblichen Beteiligung an der Bombenexplosion 2008 in Schiras, wobei Sharmahd u. a. als „Terrorist“ gebrandmarkt wird. Das folgende Gerichtsverfahren vor der 15. Abteilung des Teheraner Revolutionsgerichts hatte zudem nicht im Ansatz etwas mit einem rechtsstaatlichen Verfahren gemein. Den Vorsitz führte Richter Abolqasem Salavati, welcher auch als „Strangrichter“ bzw. „the Judge of Death“ bezeichnet wird und dafür bekannt ist, aus Gerichtsprozessen eine „Farce“ zu machen. Sharmahd war diesen Umständen schutzlos ausgeliefert, er hatte keinerlei Kontakt zu seinem Wahlverteidiger, stattdessen wurde ihm ein regimetreuer Pflichtverteidiger zur Seite gestellt, den er auch nur zweimal traf. Dieser hatte überdies eine sehr hohe Geldzahlung (250.000 US-Dollar) von der Familie verlangt, um überhaupt tätig zu werden, und zur Abwendung des Todesurteils (nur) einen Gefangenenaustausch vorgeschlagen, der schon zuvor von behördlicher Seite thematisiert worden war. Obwohl Sharmahd deutscher Staatsbürger ist, wurde ihm ferner jegliche konsularische Unterstützung versagt, vielmehr wurde er, wie in Iran üblich, allein als iranischer Staatsbürger behandelt. Des Weiteren sind seine (durch Folter oder andere Misshandlungen) erzwungenen Einlassungen, als gängige Praxis, im Prozess verwertet worden, um ihn zum Tode zu verurteilen. Das Todesurteil gegen Sharmahd und dessen Bestätigung sorg(t)en für internationales Entsetzen.

Ein schreckliches Muster

Sein Schicksal ist dabei kein Einzelfall, sondern reiht sich in ein Muster ähnlich gelagerter Sachverhalte mit willkürlichen Entführungen und/oder Inhaftierungen von Dissident*innen ein, die Amnesty International dokumentiert hat. Zudem wurde dem iranischen Regime wiederholt vorgeworfen, Doppelstaatsbürger*innen und ausländische Staatsangehörige als „Verhandlungsmasse“ für politische Zwecke zu missbrauchen und u. a. die Todesstrafe auch in diesem Zusammenhang zu instrumentalisieren. In diesem Kontext kann der Name des zuletzt in Frankreich lebenden, regierungskritischen Journalisten Rouhollah (auch: Ruhollah) Zam genannt werden, der während eines Irak-Aufenthaltes von iranischer Seite entführt, inhaftiert und im Dezember 2020 hingerichtet wurde. Auch Habib Farajollah Chaab, ein schwedisch-iranischer Doppelstaatsbürger und politischer Dissident, ist aus dem Ausland (Türkei) nach Iran verschleppt und am 6. Mai 2023 erhängt worden. In beiden Fällen waren ebenfalls Vorverurteilungen durch Propagandavideos erfolgt und Schauprozesse unter Verwendung erzwungener Geständnisse den Todesurteilen wegen „Unruhestiften auf Erden“ vorangegangen, welche u.a. auf angebliche/n Terrorismus und/ oder Spionage gestützt wurden. Diese Umstände finden sich auch im Fall des schwedisch-iranischen Wissenschaftlers und Arztes Dr. Ahmadreza Djalali wieder. Dieser wurde nicht im Ausland entführt, sondern während eines beruflichen Aufenthaltes in Iran willkürlich festgenommen. In seinem Fall sind die Gegebenheiten, insbesondere die Maßnahme, ihn als „Geisel“ zu benutzen, um einen Gefangenenaustausch zu erwirken, besonders gut belegt. Im Mai letzten Jahres wurde bereits der Termin für seine Exekution vermeldet, welche aber nicht vollzogen wurde – Djalalis Schicksal bleibt ungewiss und es besteht weiterhin die Gefahr seiner Hinrichtung.

Hinrichtungswelle in Iran – erschreckende Zahlen

Dies alles zeigt (nur auszugsweise) die grausame Nichtachtung von Menschenleben durch das iranische Regime, was sich derzeit auch (wieder) in den erschreckend hohen Hinrichtungszahlen widerspiegelt. Nach dem aktuellen Bericht zur weltweiten Anwendung der Todesstrafe für das Jahr 2022 von Amnesty International sind für die Islamische Republik Iran mindestens 576 Exekutionen dokumentiert worden, was einem Anstieg von rund 83 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Zudem sind nach Schätzungen der UN in diesem Jahr bereits mindestens 209 Personen hingerichtet worden (Stand: 9. Mai 2023), vermutlich finden derzeit durchschnittlich über 10 Exekutionen pro Woche statt. Und auch schon zuvor galt das Land generell als aktivster „Henkerstaat“ nach China (wo mutmaßlich tausende Hinrichtungen jährlich vollzogen werden). Neben einem massiven Anstieg der Hinrichtungszahlen in Bezug auf Drogendelikte waren zuletzt insbesondere auch zwei Männer wegen „Apostasie“ und „Beleidigung des islamischen Propheten“ exekutiert worden, und am 19. Mai 2023 wurde die Todesstrafe an drei weiteren Demonstrierenden im Zusammenhang mit den Protesten im Land vollstreckt. Die Todesstrafe wird so (erneut) als grausames Mittel der Repression und Machtdemonstration u. a. gegen Demonstrierende, Dissidenten*innen und ethnische Minderheiten sowie als politisches Druckmittel eingesetzt.

Dieser Hinrichtungseifer und die Exekution im Fall des Doppelstaatsbürgers Habib Chaab, insbesondere die kurze Zeitspanne zwischen der Bestätigung des Todesurteils (am 12. März 2023) und seiner Hinrichtung (am 6. Mai 2023) verdeutlichen, dass Jamshid Sharmahd in höchster Lebensgefahr schwebt.

Was tun?

Eilaktion zum Fall Jamshid Sharmahd: Bitte helfen Sie / helft mit, die Hinrichtung von Jamshid Sharmahd zu verhindern:
https://www.amnesty.de/mitmachen/urgent-action/iran-deutsch-iraner-jamshid-sharmahd-zum-tode-verurteilt-2023-04-03

Mehr dazu

Vorbehaltlos gegen die Todesstrafe

Amnesty International lehnt die Todesstrafe in allen Fällen ausnahmslos ab, unabhängig von der Art oder den Umständen des Verbrechens, der Schuld, Unschuld oder anderen Merkmalen des Täters / der Täterin oder der vom Staat angewandten Methode zur Durchführung der Hinrichtung.

22. Mai 2023