Iran: Weitere Todesurteile im Zusammenhang mit den Protesten

In Iran droht mindestens 14 Personen in Verbindung mit den landesweiten Protesten unmittelbar die Hinrichtung. Unter ihnen: Javad Rouhi, Mehdi Mohammadifard und Arshia Takdastan. Alle Todesurteile ergingen nach grob unfairen Gerichtsverfahren. Viele der Verurteilten wurden in diesem Zusammenhang Folter und anderen Misshandlungen unterzogen, wie zum Beispiel Schlägen, Elektroschocks, Morddrohungen, Vergewaltigungen und andere Formen der sexualisierten Gewalt.

Unklares Ausmaß

Die Zahl der Todesurteile im Zusammenhang mit den Protesten in Iran ändert sich derzeit ständig. Auch kann es sein, dass vorübergehend keine aktuellen Informationen zu einer bedrohten Person erhältlich sind.

Hintergründe

Den drei Demonstranten Arshia Takdastan (18 Jahre alt), Mehdi Mohammadifard (19 Jahre alt) und Javad Rouhi (31 Jahre alt) droht im Zusammenhang mit den Protesten am 21. September 2022 in Nouschahr (Provinz Mazandaran) die Hinrichtung. Unter den Vorwürfen „Feindschaft zu Gott“ und „Verdorbenheit auf Erden“ wurden im Dezember 2022 jeweils zwei Todesurteile gegen sie verhängt. Darüber hinaus wurde Javad Rouhi wegen „Apostasie“ (Abfall vom Glauben) zum Tode verurteilt, weil er unter Folter gestanden hatte, ein Exemplar des Korans verbrannt zu haben. Das Revolutionsgericht in Sari (Provinz Mazandaran) gab in seinem Urteil an, dass die jungen Männer durch Tanzen, Klatschen, Gesang und das Verbrennen von Kopftüchern in großem Umfang zu Brandstiftung und Vandalismus angestiftet hätten. Die Staatsanwaltschaft konnte keine Beweise für die Beteiligung von Javad Rouhi und Arshia Takdastan an derartigen Taten vorlegen. Das Gericht berief sich stattdessen auf ihre unter Folter erzwungenen „Geständnisse“, um die Vorwürfe zu belegen, sie seien gewaltsam in eine Wache der Verkehrspolizei eingedrungen, hätten dort mit Gegenständen geworfen. Sie sollen außerdem Steine und eine Glasflasche auf ein Polizeifahrzeug geworfen und eine Straße blockiert haben. Das Gericht berief sich darüber hinaus auf das erzwungene „Geständnis“ von Javad Rouhi, um ihm eine „Führungsrolle“ bei den Unruhen zuzuschreiben. Laut seinem erzwungenen „Geständnis“ hatte er andere Demonstrierende davor gewarnt, das Büro des Gouverneurs zu betreten. Javad Rouhi bestand vor Gericht darauf, dass seine Teilnahme an den Protesten friedlich gewesen sei. Im Fall von Mehdi Mohammadifard berief sich die Staatsanwaltschaft ebenfalls auf seine erzwungenen „Geständnisse“, staatliche Gebäude in Brand gesetzt zu haben. Desweiteren zeigten sie ein Video, in dem angeblich zu sehen ist, wie er Molotowcocktails auf eine Wache der Verkehrspolizei wirft. Sein Rechtsbeistand erklärte vor Gericht, das Video beweise nicht, dass er die Brandstiftung provoziert oder daran teilgenommen habe und dass seine „Geständnisse“ erzwungen worden seien.

Wochen der Folter

Javad Rouhi

Javad Rouhi wurde am 22. September 2022 in Nouschahr verhaftet, da er zuvor in einem Video identifiziert worden war, das ihn bei den Protesten in Nouschahr am Vortag beim Tanzen zeigte. Anschließend wurde er mehr als 40 Tage in Isolationshaft gefangen gehalten. Während dieser Zeit sah er sich massiver Folter ausgesetzt. So wurde er geschlagen und ausgepeitscht, während sein Körper an einen Pfahl gebunden war, ihm wurden Elektroschocks versetzt, er erlitt durch extrem niedrige Temperaturen Erfrierungen und wurde Opfer sexualisierter Gewalt durch das Platzieren von Eiswürfeln auf seinen Hoden. Um ein „Geständnis“ zu erzwingen, wurde ihm von einem Wärter mehrfach eine Waffe an den Kopf gehalten mit der Drohung, ihn zu erschießen, sollte er nicht „gestehen“. Während der ersten sechs Wochen seiner Gefangenschaft verheimlichten die Behörden seinen Verbleib vor seiner Familie, was dem Verschwindenlassen gleichkommt. Erst Ende Oktober 2022 durfte er in einem kurzen Anruf seine Familie darüber informieren, dass er sich in einem medizinischen Zentrum befand. Wo dies war, wurde nicht klar. Die Behörden unterbrachen den Anruf allerdings nach wenigen Sekunden. In den folgenden Wochen suchte seine Familie weiterhin nach ihm und kontaktierte unter anderem das Zentralgefängnis in Nouschahr. Anfang November 2022 bestätigten die Behörden schließlich, dass er dort festgehalten wurde, und Mitte November gewährten sie ihm einen Besuch seiner Familie. In den darauffolgenden sechs Wochen bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Behörden ihn Ende Dezember 2022 über sein Todesurteil informierten, wurde ihm der Kontakt zu seiner Familie wieder verweigert. Durch das Ausmaß der oben beschriebenen Folter leidet Javad Rouhi an Harninkontinenz, Verdauungsproblemen sowie Mobilitäts- und Sprachstörungen. Außerdem verursachte der Missbrauch einen erneuten Riss in seiner Rotatorenmanschette in der Schulter und er leidet bis heute an starken Schmerzen im Rücken und an der Hüfte, sowie an Taubheitsgefühlen im rechten Bein, die nicht behandelt wurden. Er befindet sich bis heute ohne angemessene medizinische Versorgung oder die Aussicht auf einen fairen Gerichtsprozess im Zentralgefängnis in Nouschahr.

 

Arshia Takdastan

Auch Arshia Takdastan wurde im Zusammenhang mit den Protesten in Nouschahr am 24. September 2022 festgenommen. Er verbrachte 28 Tage in Isolationshaft und seiner Familie wurde ebenfalls sein Verbleib für 18 Tage lang verheimlicht. In seinem Urteil wird er für die „Feindschaft zu Gott“ zum Tode verurteilt. Als Beweis wird eine Textnachricht angeführt, die er an Iran International, einem Fernsehsender außerhalb des Irans, geschickt hatte. Darin soll er sich dafür bedankt haben, dass Iran International „hinter der Bevölkerung steht“, und bat darum, „die Bevölkerung weiterhin zu ermutigen, damit die Islamische Republik besiegt werden kann“. Die Revolutionsgarden folterten Arshia Takdastan und als Folge leidet er an einem gebrochenen Zeh sowie Gedächtnisverlust.

 

Mehdi Mohammadifard

Mehdi Mohammadifard tauchte am 1. Oktober 2022 unter, nachdem er von den Revolutionsgarden zu Verhören vorgeladen worden war. Am frühen Morgen des 2. Oktobers 2022 spürten die Revolutionsgarden ihn auf und nahmen ihn fest. Nach Amnesty International vorliegenden Informationen verlief die Festnahme gewaltsam. Er wurde geschlagen und zu Boden gestoßen und erlitt einen Nasenbeinbruch. Amnesty erfuhr auch, dass er nach seiner Inhaftierung eine Woche lang in Isolationshaft in einer von Mäusen und Kakerlaken befallenen Zelle festgehalten wurde. Während dieser Zeit wurde er gefoltert und anderweitig misshandelt. Momentan befindet er sich ebenfalls im Zentralgefängnis in Nouschahr. Bis zu seinem Todesurteil im Dezember 2022 wurde ihm kein Besuch seiner Familie gestattet.

 

Weitere Todesurteile

Neben Javad Rouhi, Mehdi Mohammadifard und Arshia Takdastan droht dutzenden weiteren Personen die Todesstrafe im Zusammenhang mit den Protesten. Aktuell sind mindestens 11 weitere Menschen nach einem grob unfairen Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt worden unter anderem wegen „Feindschaft zu Gott“ (moharebeh), „Verdorbenheit auf Erden“ (efsad-e fel arz) und „bewaffneter Rebellion gegen den Staat“ (baghi). Ihre Namen lauten: Ebrahim Narouie, Kambiz Kharout, Majid Kazemi, Manouchehr Mehman Navaz, Mansour Dahmardeh, Mohammad Boroughani, Mehdi Bahman, Mohammad Ghobadlou, Saleh Mirhashemi, Saeed Yaghoubi, Shoeib Mir Baluchzehid. Bei mindestens fünf weiteren Personen, darunter Sahand Nourmohammad-Zadeh, Hamid Ghare-Hasanlou, Hossein Mohammadi, Reza Arya (Aria) und Mahan Sadrat (Sedarat) Madani, stehen Neuverhandlungen an, nachdem ihre Schuldsprüche und Todesurteile vom Obersten Gerichtshof aufgehoben und ihre Fälle an vorinstanzliche Gerichte zurückverwiesen worden waren. Amnesty International sind mindestens drei weitere Personen bekannt, die ebenfalls wegen Straftaten angeklagt sind, auf die die Todesstrafe steht. Zu ihnen zählen Saeed Shirazi, Abolfazl Mehri Hossein Hajilou und Mohsen Rezazadeh Gharegholou. Über die Ergebnisse ihrer Verfahren liegen derzeit noch keine öffentlichen Informationen vor. Gegen Dutzende weitere Personen wird wegen Kapitalverbrechen im Zusammenhang mit den Protesten ermittelt.

Rechtsgrundlage

Die Verhängung von Todesurteilen für die oben genannten Straftaten verstößt gegen internationales Recht. Dieses sieht vor, dass Todesurteile nicht verhängt werden dürfen soweit die Straftaten keine vorsätzliche Tötung beinhalten. Hinzu kommt, dass die Verfahren vor den Revolutionsgerichten und / oder Strafgerichten überall im Land auf grob unfaire Weise verlaufen. Das bedeutet, dass den Angeklagten zum Beispiel keine angemessene Verteidigung und Zugang zu einem Rechtsbeistand ihrer Wahl gewährt wird. Außerdem wird in diesen Verhandlungen das Recht auf Unschuldsvermutung, das Recht zu schweigen und das Recht auf eine faire, öffentliche Verhandlung massiv verletzt. Dies passiert zum Beispiel durch die Veröffentlichung von den durch Folter erzwungenen „Geständnissen“.

Mehr dazu in den Eilaktionen von Amnesty International:

6. März 2023