Myanmar: Erste Hinrichtungen seit Jahrzehnten

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Seit Jahrzehnten wurde in Myanmar kein Todesurteil mehr vollstreckt, die Todesstrafe im Gesetz jedoch beibehalten. Die letzte Hinrichtung soll in dem südostasiatischen Land 1988 stattgefunden haben. Jetzt haben die Militärbehörden die Todesurteile von vier Männern in den Morgenstunden des 23. Juli 2022 vollstrecken lassen. Die Exekutierten sind Phyo Zeya Thaw, ein früherer Parlamentsabgeordneter und ehemaliges Mitglied der National League for Democracy von De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi sowie der prominente Demokratieaktivist Kyaw Min Yu, auch bekannt als Ko Jimmy. Gegen die beiden Männer erging im Januar 2022 wegen angeblicher Sprengstoff- und Bombenanschlägen und wegen Finanzierung des Terrorismus das Todesurteil. Zwei weitere Männer, Hla Myo Aung und Aung Thura Zaw, wurden ebenfalls zum Tode verurteilt. Sie wurden des mutmaßlichen Mordes an einer Frau schuldig gesprochen, von der angenommen wird, dass sie als Informantin für das Militär in Hlaing Tharyar in Rangun fungierte. Amnesty International ist überzeugt, dass die Anklagen politisch motiviert waren. Die vier Männer wurden von einem vom Militär kontrollierten Gericht in streng geheimen und zutiefst unfairen Prozessen nach dem Anti-Terrorismus-Gesetz verurteilt.

Diese ersten Hinrichtungen seit Jahrzehnten markieren eine grausame Eskalation der staatlichen Repression. Erwin van der Borght, Regionaldirektor von Amnesty International, übt scharfe Kritik:

„Diese Hinrichtungen kommen einer willkürlichen Tötung gleich und sind ein weiteres Beispiel für die grausame Menschenrechtsbilanz Myanmars. Seit mehr als einem Jahr sind Myanmars Militärbehörden an außergerichtlichen Tötungen, Folter und einer ganzen Reihe von Menschenrechtsverletzungen beteiligt.“ 

Militärputsch

Das Militär verhängte kurz nach der Machtübernahme durch einen Putsch am 1. Februar 2021 den Ausnahmezustand im Land und erließ am 16. März die Kriegsrechtsverfügung 3/2021. Unter anderem wurde mit dieser Verordnung die Befugnis erteilt, auch Zivilisten für ein breites Spektrum an Straftaten, einschließlich solcher, die mit Todesstrafe geahndet werden können, im Eilverfahren und ohne Rechtsmittel vor speziellen oder bestehenden Militärtribunalen zu verhandeln. Zum Tode Verurteilte haben lediglich die Möglichkeit, beim Vorsitzenden des Staatsverwaltungsrates eine Aufhebung der Gerichtsentscheidung zu beantragen. Nach internationalem Recht und internationalen Standards verstoßen Hinrichtungen nach unfairen Gerichtsverfahren gegen das Verbot willkürlicher Tötung sowie gegen das absolute Verbot von Folter und anderen grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Strafen.

Todesurteile am laufenden Band

Im vergangenen Jahr fällten Gerichte mindestens 86 Todesurteile, was einem alarmierenden Anstieg der Zahl bekannter Todesstrafen in Myanmar bedeutet. Die Todesstrafe ist offenkundig zu einem Instrument des Militärs bei der anhaltenden und weit verbreiteten Verfolgung, Einschüchterung, Belästigung und Gewaltausübung gegen Demonstrierende und im Journalismus Tätige geworden. Vor Februar 2021 war die Todesstrafe nur sporadisch wegen Mordes verhängt und meist im Zuge von Massenbegnadigungen umgewandelt worden. Die jährliche Gesamtzahl an gefällten Todesurteilen lag im Durchschnitt der Jahre 2017-2020 bei deutlich unter zehn.

Die mindestens 86 Todesurteile des Jahres 2021 wurden von Militärtribunalen und in einem Fall von einem Jugendgericht verhängt. Den Berichten zufolge wurden mindestens 26 Angeklagte in Abwesenheit vor Gericht gestellt und verurteilt, mindestens zwei waren zum Zeitpunkt der mutmaßlichen Straftat Teenager und bei einem Mann wurde eine schwere geistige (psychosoziale) Behinderung gemeldet. Die Verfahren fanden hinter verschlossenen Türen statt. Die wenigen verfügbaren Informationen deuten darauf hin, dass es sich in einigen Fällen um summarische Verfahren handelte, bei denen die Angeklagten keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand hatten. Nach Angaben der Assistance Association for Political Prisoners (AAPP) wurden seit Anfang 2022 mindestens 28 neue Todesurteile verhängt, so dass die Gesamtzahl auf mehr als 100 anstieg.

Appell

Am 16. Juni 2021 publizierte Amnesty International die gemeinsame öffentliche Erklärung „Myanmar: Plans to carry out arbitrary executions must halt immediately“, die von 111 anderen Organisationen mitgetragen wird. Darin drücken die unterzeichnenden Bündnisse ihre tiefe Sorge aus, dass die Wiederaufnahme der Hinrichtungen in Myanmar einen erheblichen Rückschlag für die Menschenrechtsbilanz des Landes bedeuten würde. Unter anderem wird in der Erklärung betont, dass Hinrichtungen gegen das Verbot willkürlicher Tötungen verstoßen würden, das im internationalen Menschen- und Gewohnheitsrecht festgelegt ist. Die Behörden werden aufgefordert, nach mehr als drei Jahrzehnten ohne Hinrichtungen ein offizielles Moratorium für Exekutionen zu verfügen und ihre internationalen Verpflichtungen zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte einzuhalten, einschließlich des Schutzes des Rechts auf Leben. Die unterzeichnenden Organisationen bekräftigen ihre bedingungslose Ablehnung der Todesstrafe. Sie fordern zudem, alle Personen, die in Myanmar im Zusammenhang mit der Ausübung ihrer Rechte auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit sowie auf friedliche Versammlung inhaftiert sind, unverzüglich freizulassen.

Amnesty International lehnt die Todesstrafe bedingungslos ab, in allen Fällen und unter allen Umständen. Mehr als zwei Drittel der Länder auf der ganzen Welt haben die Todesstrafe per Gesetz oder in der Praxis abgeschafft.

Mehr dazu

  • Öffentliche [Erklärung] in englischer Sprache
  • [Artikel] auf der Webseite der deutschen Sektion
31. Juli 2022