Singapur: Weitere Hinrichtungen verhindern

Singapur hat Ende März 2022 erstmals seit drei Jahren wieder einen Menschen hingerichtet. Trotz weltweiter Proteste bestätigte nur einen Tag nach dem Vollzug der Todesstrafe an Abdul Kahar bin Othman wegen Heroinhandels ein Gericht in Singapur ein weiteres Drogen-Todesurteil. Es ist gegen den malaysischen Staatsangehörigen Nagaenthran K. Dharmalingam verhängt worden, obwohl mehrere medizinische Gutachten ihm einem IQ von 69 und somit eine geistige und intellektuelle Behinderung bescheinigten. Menschen mit kognitiven oder psychischen Beeinträchtigungen dürfen nicht zum Tode verurteilt werden. Das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD), dem Singapur beigetreten ist, und der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte verbieten, gegen Menschen mit geistiger Behinderung die Todesstrafe zu verhängen.

Nachdem Nagaenthran K. Dharmalingam alle Rechtsmittel ausgeschöpft hatte, wurde die Vollstreckung seines Todesurteils – trotz seiner geistigen Behinderung und des derzeitigen Zustands seiner psychischen Gesundheit – für Mittwoch, 27. April 2022 (früher Morgen, Ortszeit Singapur) anberaumt und auch durchgeführt. Das Todesurteil wurde durch den Strang vollstreckt.

Nagaenthran K. Dharmalingam war am 22. November 2010 für schuldig befunden und zur zwingenden Todesstrafe verurteilt worden, weil er im April 2009 knapp 43 Gramm Diamorphin (Heroin) nach Singapur eingeschmuggelt hatte. Das erstinstanzliche Todesurteil gegen den heute 34-Jährigen war während des ersten Corona-Lockdowns via Zoom-Schalte gefällt worden.

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[Hier] findest du weitere Angaben zur Sachlage und Hintergrundinformationen in Englisch. In einer [Protestnote] verurteilte Amnesty International den Vollzug der Todesstrafe an Nagaenthran K. Dharmalingam scharf. Der für Asien zuständige Amnesty-Regionaldirektor Erwin van der Borght kommentierte die Hinrichtung wie folgt:

Die Hinrichtung von Nagaenthran ist ein schändlicher Akt der Regierung Singapurs – rücksichtslos durchgeführt trotz umfangreicher Proteste in Singapur und Malaysia und eines weltweiten Aufschreis.

Weitere Hinrichtungen folgten

Der Oberste Gerichtshof von Singapur hat alle noch anhängigen Rechtsmittel der Straftäter Roslan bin Bakar, Rosman bin Abdullah und einem anderen Mann am 9. März, bzw. am 16. März 2022 zurückgewiesen. Alle drei sind wegen Drogendelikten zum Tode verurteilt worden. Eine weitere Exekution wurde für Freitag, 29. April 2022 angesetzt, obwohl in dem Fall Datchinamurthy Kataiah noch ein Berufungsverfahren anhängig ist. Auch hierbei handelt es sich um einen malaysischen Staatsangehörigen, der wegen Drogenvergehen für schuldig befunden und zur obligatorischen Todesstrafe verurteilt worden war. Seine Hinrichtung wurde kurzfristig bis zum 20. Mai 2022 ausgesetzt.

Am 7. Juli wurden der malaysische Staatsbürger Kalwant Singh sowie ein weiterer Mann exekutiert. Beide Männer waren in dem gleichen Kriminalfall wegen Drogenschmuggels schuldig gesprochen und dafür zur obligatorischen Todesstrafe verurteilt worden. In diesem Jahr sind somit bereits vier Hinrichtungen in Singapur vollzogen worden.

Am 22. Juli 2022 vollzog Singapur ein weiteres Todesurteil. Betroffen war Nazeri Lajim, ein Staatsbürger Singapurs. Er wurde 2017 wegen Drogenhandels verurteilt, nachdem er mit insgesamt 33,39 Gramm Diamorphin gefasst worden war. Nazeri hat während des größten Teils seines Lebens einen Kampf mit Drogenkonsum, Inhaftierung und Sucht geführt. Mehr dazu [hier]. Wenige Tage später, am 26. Juli 2022, wurde ein 49-Jähriger gehenkt, der des Cannabis-Handels überführt worden war und seit 2015 im Todestrakt in Haft saß. Der Handel mit mehr als 500 Gramm Cannabis wird nach den strengen Drogengesetzen Singapurs mit dem Tode bestraft. Als Reaktion auf die gemeldeten Hinrichtungen sagte die Todesstrafenexpertin von Amnesty International, Chiara Sangorgio:

„Sechs Menschen wurden dieses Jahr in Singapur in einem Zeitraum von weniger als vier Monaten gehängt. Diese unerbittliche Welle von Hinrichtungen muss sofort gestoppt werden. Anstatt eine einzigartige abschreckende Wirkung auf die Kriminalität zu haben, zeigen diese Hinrichtungen nur die völlige Missachtung der Menschenrechte und des Rechts auf Leben durch die singapurischen Behörden.“

Todesurteile für Drogendelikte und zwingende Todesstrafen sind unzulässig

Internationale Menschenrechtsnormen und -standards untersagen die Verhängung der Todesstrafe wegen Straften im Zusammenhang mit Drogen und ihre obligatorische Anwendung generell, unabhängig von der begangenen Straftat. In Singapur gelten strikte Betäubungsmittelgesetze. Der Stadtstaat gehört zu den mehr als 30 Ländern weltweit, in denen Drogenvergehen immer noch mit der Todesstrafe geahndet werden. In Singapur ist bei Drogendelikten die Todesstrafe zwingend vorgeschrieben. Das bedeutet, dass es Richter*innen nicht gestattet ist, bei der Strafzumessung mögliche mildernde Umstände zu berücksichtigen. Trotz dieser äußerst drakonische Gesetze, ist es Singapur weder gelungen, den Drogenkonsum und die Verfügbarkeit von Drogen im Land zu bekämpfen noch die Bevölkerung vor drogenbedingten Folgeschäden zu schützen.

Amnesty fordert

die Regierung Singapurs auf, die angesetzten Hinrichtungen – die gegen internationales Recht und internationale Standards verstoßen würden – zu stoppen und als ersten Schritt zur Abschaffung ein offizielles Moratorium zu verfügen. Die Regierung Singapurs muss Maßnahmen zur Reform der Todesstrafe ergreifen, anstatt neue Hinrichtungen zu veranlassen. Die Wiederaufnahme von Hinrichtungen in Singapur nach mehr als zwei Jahren ist ein massiver Rückschritt in Sachen Menschenrechte. Amnesty International wendet sich in allen Fällen, weltweit und ausnahmslos gegen die Todesstrafe.

27. Juli 2022