Der saudische Aktivist Ali al-Nimr ist nach fast zehn Jahren Haft Ende Oktober endlich freigelassen worden. Al-Nimr wurde 2012 im Alter von 17 Jahren zum Tode verurteilt. Amnesty International hat sich jahrelang für seine Sache eingesetzt.
„Wir sind dankbar für alles, was Amnesty-Unterstützerinnen und – Unterstützer getan haben, um Ali vor dem Tod zu retten“, sagte sein Anwalt Taha al-Hajji gegenüber Amnesty International.
Sechs Jahre lang lebten Ali al-Nimr und seine Familie unter der ständigen Drohung einer Vollstreckung des Todesurteils. Ali ist der Neffe des schiitischen Geistlichen Scheich Nimr Baqir al-Nimr, der 2016 hingerichtet wurde. Bei Scheich Nimr Baqir al-Nimr handelte es sich um einen gewaltlosen politischen Gefangenen. Scheich al-Nimr wurde unter anderem wegen „Ungehorsam gegenüber dem Herrscher“ zum Tode verurteilt.
Ali al-Nimr nahm als Jugendlicher an Protesten gegen die saudische Regierung teil und wurde 2012 festgenommen. Im Oktober 2014 verurteilte ihn das Sonderstrafgericht (Specialized Criminal Court – SCC), das für terrorismusbezogene Fälle zuständig ist, wegen mehrerer Verbrechen zum Tode. Seine „Geständnisse“ seien unter Folter und anderen Misshandlungen abgelegt worden, sagte Ali al-Nimr. Zudem wurde ihm während der Untersuchungshaft der Zugang zu einem Rechtsbeistand verweigert. Auch nach seiner Verurteilung verwehrte man ihm eine anwaltliche Vertretung, sodass er kein Rechtsmittel gegen sein Todesurteil einlegen konnte. Das Todesurteil wurde 2015 ohne sein Wissen, seiner Familie und seinem Rechtsbeistand durch ein Berufungsgericht und durch den Obersten Gerichtshof von Saudi-Arabien bestätigt. Da alle Rechtsmittel ausgeschöpft waren, hätte Ali al-Nimr jederzeit hingerichtet werden können, sobald der König das Urteil bestätigt hätte.
Internationaler Druck
Neben Amnesty International engagieren sich auch die EU in diesem Fall. Einige der sehr seltenen öffentlichen Erklärungen der EU zu Menschenrechten in Saudi-Arabien haben sich mit der Todesstrafe für Minderjährige befasst. Im Jahr 2020 schließlich kündigte Saudi-Arabien an, die Todesstrafe für Minderjährige für eine Reihe von Verbrechen nicht mehr anzuwenden.
„Der Fall Ali al-Nimr und die angekündigten Reformen rund um die Todesstrafe für Minderjährige zeigen, dass öffentlicher Druck absolut notwendig ist, um in einem Land wie Saudi-Arabien Veränderungen herbeizuführen“, sagte Dagmar Oudshoorn, Direktorin von Amnesty International Niederlande. „Dies sollte die EU ermutigen, häufiger klare öffentliche Erklärungen zu Menschenrechtsverletzungen im Land abzugeben.“
Todesstrafe in Saudi-Arabien
Saudi-Arabien hat im Jahr 2020 27 Todesurteile vollstreckt und mindestens acht neue gefällt. Berichten zufolge hat sich in 2021 die Zahl der Hinrichtungen massiv erhöht, gegenüber dem Vorjahr möglicherweise verdoppelt. Das Königreich verhängt die Todesstrafe bei einer großen Bandbreite von Verbrechen. Die meisten Todesurteile werden wegen Tötungsdelikten, Straftaten in Zusammenhang mit Drogen und terrorismusbezogene Verbrechen ausgesprochen. Die am häufigsten angewendete Hinrichtungsmethode ist die Enthauptung mit dem Schwert. Die Enthauptungen finden zum Teil auf öffentlichen Plätzen statt. Das saudische Justizsystem ist von einer gewohnheitsmäßigen Undurchsichtigkeit gekennzeichnet. Es herrscht auf allen Ebenen ein mangelnder Informationsfluss vor. Die Behörden halten regelmäßig die internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren nicht ein und stellen keine Schutzmaßnahmen für die Angeklagten bereit.
Die Position von Amnesty International
Amnesty lehnt die Todesstrafe grundsätzlich ab und fordert daher die saudi-arabische Regierung dazu auf, alle weiteren Todesurteile aufzuheben, alle Hinrichtungen auszusetzen und die Todesstrafe vollständig abzuschaffen. Im April 2020 kündigte Saudi-Arabien an, die Todesstrafe nicht mehr gegen Personen anzuwenden, die zum Tatzeitpunkt unter 18 Jahren waren und deren Fälle nicht in den Bereich des Antiterrorgesetzes fallen. Die Novelle des saudischen Strafgesetzes wurde jedoch nie offiziell gemacht. Amnesty fordert, klare Anwendungsbestimmungen folgen zu lassen, die keine Ausnahmen für Minderjährige zulassen.