Vor 40 Jahren: Frankreich schafft die Todesstrafe ab

Am 10. Oktober 2021 jährt sich zum 40. Mal die Abschaffung der Todesstrafe in Frankreich. Dabei spielte der Rechtsanwalt Robert Badinter eine wichtige Rolle. Badinter war es 1972 nicht gelungen, seinen Mandanten Roger Bontems vor der Todesstrafe zu retten. Bontems war zusammen mit seinem damaligen Zellengenossen Claude Buffet angeklagt, im September 1971 im Rahmen einer Geiselnahme Nicole Comte und Guy Giradot getötet zu haben. Badinter wohnte am 28. November 1972 der Enthauptung Bontems‘ durch das Fallbeil, die Guillotine, im Pariser La Santé-Gefängnis bei. Von da an engagierte sich Badinter intensiv für die Abschaffung der Todesstrafe.

1977 verteidigte er, zusammen mit Robert Bocquillon, Patrick Henry, der angeklagt war, den siebenjährigen Philippe Bertrand Anfang 1976 entführt und ermordet zu haben. Nach einem berühmt gewordenen Plädoyer Badinters wurde Patrick Henry am 20. Januar 1977 nicht zum Tode, sondern zu lebenslanger Haft verurteilt.

Bei den Präsidentschaftswahlen 1981 kamen François Mitterrand und der Amtsinhaber Valéry Giscard d’Estaing in die Stichwahl. Während des bewaffneten Konflikts um die Unabhängigkeit Algeriens (1954-1962) war Mitterrand von Februar 1956 bis Juni 1957 französischer Justizminister. In Mitterrands Amtszeit wurden 45 Menschen in Algerien guillotiniert, deren Gnadengesuche mit seiner Zustimmung abgelehnt worden waren. In Mitterrands Wahlprogramm „110 Vorschläge für Frankreich“ hingegen war in Vorschlag 53 die Abschaffung der Todesstrafe enthalten. Designierter Justizminister in Mitterrands Kabinett war Robert Badinter.

Giscard d’Estaing sprach sich zwar in einer Versammlung vor Jugendlichen seiner Partei ebenfalls gegen die Todesstrafe aus, aber während seiner Amtszeit (1974-1981) hatten drei Hinrichtungen stattgefunden, die er durch Gnadenerweis hätte verhindern können.

Ein düsteres Kapitel der Geschichte

Die Todesstrafe ist ein durchaus düsteres Kapitel in der Geschichte Frankreichs. Während der Französischen Revolution wurden von September 1793 bis August 1794 mehr als 16.000 Menschen mit dem Fallbeil fließbandartig enthauptet. Dazu gehörten neben König Ludwig XVI. und seiner Gattin Marie Antoinette auch die Revolutionäre Georges Danton und Maximilien de Robespierre. Zahllose folgten ihnen in den nächsten zwei Jahrhunderten aufs Schafott. Immer wieder gab es aber auch Kritik an der Todesstrafe: Der Schriftsteller Victor Hugo brandmarkte sie 1848 als „das besondere und ewige Zeichen der Barbarei“. Doch auch in den folgenden Jahrzehnten weigerte sich das Parlament in Paris viele Male, die Todesstrafe aufzugeben. Für eine Reihe von Delikten aus dem Bereich des gewöhnlichen Strafrechts und dem militärischen Bereich blieb die Verhängung von Todesurteilen möglich.

Abstimmungssieg

Nachdem Mitterrand die Stichwahl am 10. Mai 1981 gewonnen hatte, und Badinter zum Justizminister ernannt worden war, legte Letzterer einen Gesetzentwurf zur Abschaffung der Todesstrafe vor. Am 17. September 1981 hielt Robert Badinter vor der Nationalversammlung eine bewegende Rede für die Abschaffung der Todesstrafe und bekräftigte: „Wir werden eine menschlichere Justiz haben, diese Justiz kann nicht mehr unter dem Zeichen der Guillotine leben“. Am nächsten Tag wurde der Gesetzentwurf mit 363 zu 117 Stimmen angenommen. Am 30. September 1981 stimmte auch der Senat mit 160 zu 126 Stimmen zu. Am 10. Oktober 1981 trat das Gesetz 81-908 durch Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft. In Artikel 1 des Gesetzes heißt es: „Die Todesstrafe ist abgeschafft“. Das Verbot der Todesstrafe gilt auch in sämtlichen Überseegebieten Frankreichs. Dieser Schritt war mehr als überfällig, denn die République française war zu diesem Zeitpunkt das letztes Land der Europäischen Gemeinschaft, das noch die Todesstrafe vorsah. Mit Inkrafttreten des Gesetzes wurden alle anhängigen Todesurteile umgewandelt. Insgesamt gab es zum Zeitpunkt der Abschaffung der Todesstrafe in Frankreich sieben zum Tode Verurteilte.

Ex-Minister Robert Badinter (Mitte mit rotem Schal) bei einer Demonstration gegen die Todesstrafe im Februar 2007 in Paris

Kapitalstrafe doch angemessen?

Die Abschaffung der Todesstrafe blieb jedoch zunächst umstritten. So reichten zahlreiche Abgeordnete des konservativen Lagers allein in den ersten 15 Jahren nach dieser Entscheidung nicht weniger als 25 Gesetzesanträge im Parlament zur Wiedereinführung der Todesstrafe ein. Nach einer Serie von Sexualmorden an Minderjährigen kam es beispielsweise im Herbst 1988 zu einer solchen Debatte in der Nationalversammlung. Das Vorhaben wurde jedoch unter Verweis auf die Bindung Frankreichs an internationale Verträge abgelehnt. Eine Parlamentsmehrheit für die Wiederzulassung der Todesstrafe zeichnete sich bislang in keinem Fall auch nur annähernd ab. 2004 scheiterte ein Antrag von 47 Abgeordneten: Im Kampf gegen den Terror hielten sie die Kapitalstrafe für angemessen.

Wiedereinführung unmöglich machen

Präsident Chirac ließ Ende Dezember 2006 mitteilen, er wolle das Verbot der Todesstrafe in die Verfassung aufnehmen lassen. Am 19. Februar 2007 stimmten die im Kongress versammelten Abgeordneten von Nationalversammlung und Senat mit 828 zu 26 Stimmen für den Verfassungszusatz. Die Verfassung der Fünften Republik ist seit dem 23. Februar 2007 um einen Artikel (66-1) ergänzt, der ausdrücklich festlegt: „Niemand kann zur Todesstrafe verurteilt werden.“ Die Verankerung eines ausdrücklichen Verbots von Hinrichtungen in der Verfassung soll verhindern, dass beispielsweise mit einer einfachen Gesetzesänderung oder einer Volksabstimmung die Todesstrafe wieder legalisiert werden kann.

Frankreich hat die Abschaffung der Todesstrafe nicht nur in seiner Verfassung verankert, sondern auch durch die Ratifikation internationaler Verträge abgesichert. So ratifizierte die Republik am 17. Februar 1986 das Protokoll Nr. 6 zur Europäischen Konvention über den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe. Dieses Protokoll verbietet die Todesstrafe in Friedenszeiten. Am 2. Oktober 2007 folgte die Ratifikation des Zweiten Fakultativprotokolls zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe und acht Tage später des Protokolls Nr. 13 zur Europäischen Konvention über den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bezüglich der Abschaffung der Todesstrafe unter allen Umständen. Staaten, die einem der beiden letztgenannten Protokolle beitreten, verpflichten sich zur vollständigen Abschaffung der Todesstrafe.

Die Todesstrafe ist in Frankreich Geschichte

Die letzte Hinrichtung in Frankreich hatte am 10. September 1977 stattgefunden. Der Tunesier Hamida Djandoubi wurde in Marseille, im Prison des Baumettes, wegen Mordes und Vergewaltigung mit der Guillotine enthauptet. Es war die letzte Exekution in Westeuropa. Das letzte Todesurteil für eine militärische Straftat wurde am 11. März 1963 an einem Luftwaffenoffizier namens Jean Bastien-Thiry in Fort d’Ivry, heute Département Val-de-Marne, vollstreckt. Der Soldat war wegen eines Mordversuchs an Präsident Charles de Gaulle des Hochverrats für schuldig befunden und von einem Exekutionskommando erschossen worden.

Zwischen 1959 und 1977 wurden in Frankreich mindestens 80 Menschen zum Tode verurteilt und insgesamt 45 Gefangene hingerichtet. Die letzte öffentliche Exekution fand am 17. Juni 1939 vor den Türen des Gefängnisses Saint-Pierre im Zentrum der französischen Stadt Versailles statt. Die Guillotine wurde auf dem Bürgersteig aufgestellt und eine größere Menschenmenge stand nur wenige Meter von der Tötungsmaschine entfernt. Das Ereignis löste eine heftige Kontroverse aus. Das letzte Todesurteil fällte ein Gericht am 28. September 1981 im Département Haut-Rhin wegen versuchten Mordes gegen den Angeklagten Jean-Michel Marx.

Eine Schande für die Menschheit

Bei einer Gedenkveranstaltung in Paris anlässlich des 40. Jahrestags der Abschaffung der Todesstrafe in Frankreich sprachen sowohl der französische Präsident Emmanuel Macron als auch Robert Badinter. Präsident Macron kündigte für 2022 ein „Treffen auf höchster Ebene“ in Berlin an, um die Regierungen der Länder, die die Todesstrafe noch anwenden, von der „dringenden Notwendigkeit ihrer Abschaffung“ zu überzeugen.

Der 93-jährige Robert Badinter zeigte sich „absolut überzeugt davon, dass die Todesstrafe dazu bestimmt ist, von der Welt zu verschwinden, weil sie eine Schande für die Menschheit ist“. Er unterstrich, diese Form der Bestrafung „verteidigt die Gesellschaft nicht, sie entehrt sie“.

Mehr dazu:

  • [ARTE-Video] (6 min.) erinnert an die entscheidende Debatte im französischen Parlament, die zur Abschaffung der Todesstrafe führte.
  • [ARTE-Video] „Karambolage – Abschaffung der Todesstrafe in Frankreich“ (11 min.)
  • [Video] von ECPM – Ensemble contre la peine de mort (2 min.)
11. Oktober 2021