Gute Nachrichten aus Malawi: Sechs von sieben Richtern des Obersten Berufungsgerichts erklärten am 28. April 2021 in einem vielbeachteten Urteil die Todesstrafe für unvereinbar mit der Verfassung des Landes. Das Gericht in dem südostafrikanischen Land kam zu dem Schluss, dass die Strafe das Recht auf Leben verletze. Ein Ende der Todesstrafe in Malawi schien zum Greifen nah. Doch nur wenige Monate später kam die Ernüchterung: Im August 2021 distanzierten sich fünf der Richter von dem Verdikt. In einer verwirrenden Kehrtwende zog sich der malawische Oberste Berufungsgerichtshof von seiner früheren Entscheidung zurück und verwarf das Urteil wieder.
Was war geschehen?
Charles Khoviwa, ein 2003 wegen Mordes verurteilter Mann, hatte gegen seine Verurteilung zum Tode geklagt und nach einem jahrelangen juristischen Streit am 28. April 2021 schließlich Recht bekommen. Der Oberste Gerichtshof von Malawi gab seiner Berufung statt. Ein Gremium aus neun Richtern befand, dass das Recht auf Leben das höchste aller Rechte sei, von dem die Verfassung keine Abweichung erlaube. Mit der Todesstrafe werde dieses Recht nicht nur missachtet, sondern quasi außer Kraft gesetzt. Mit seinem Urteil ordnete der Gerichtshof neue Prozesse für die auf ihre Hinrichtung wartenden Insassen der Todeszelle an.
Am 18. August 2021 erließen sieben Richter des Obersten Gerichtshofs überraschend ein – wie es heißt – „perfektes“, also berichtigtes Urteil im Fall Khoviwa gegen die Republik Malawi. Sie erläuterten, dass das ursprüngliche Verdikt von dem inzwischen pensionierten Berufungsrichter Dunstain Mwaungulu formuliert und am 28. April 2021 verkündet worden sei. Dabei habe es sich um eine unvollkommene Entscheidung gehandelt, die lediglich die persönliche Einzelmeinung eines Richters spiegele, und die in ihrer Weite nicht vom gesamten Senat getragen werde.
In einer Stellungnahme stellt Richter R. R. Mzikamanda klar, dass das gesamte Gericht die Todesstrafe nie abgeschafft habe. „Die Verfassungsmäßigkeit der Todesstrafe war während des Berufungsverfahrens gar nicht Thema“, schrieb er. Stattdessen ging es in dem Fall nur darum, ob Charles Khoviwa Anspruch auf eine rechtliche Anhörung hatte, bevor das Todesurteil in seinem Wiederaufnahmeverfahren in Abwesenheit aufrechterhalten worden war. Richter Mzikamanda erläuterte, die Entscheidung des Gerichts habe zwar die Verfassungswidrigkeit der zwingenden Todesstrafe am Rande bestätigt, den Richterinnen und Richtern jedoch weiterhin die Freiheit belassen, in Kapitalfällen Todesurteile zu fällen. Richter Mwaungulu wird mit den Worten zitiert, er sei nicht konsultiert worden, bevor das Gericht seine Entscheidung revidierte. Er wies Vorwürfe zurück, er habe dem Obersten Gerichtshof ein Urteil untergeschmuggelt.
Vorgehen des Gerichts stößt auf ein verheerendes Echo
Die Nachrichtenagentur Malawi 24 kritisierte das Vorgehen des Gerichts, das gegen das etablierte Verfahren verstieß und äußerte die Sorge „es bedrohe den Ruf des Landes im Hinblick auf seine richterliche Unabhängigkeit“. Der Anwalt und Todesstrafengegner Alexious Kamangila sagte, dass nach den Verfahrensvorschriften des Obersten Berufungsgerichts von Malawi eine Entscheidung nach 14 Tagen als wirksam gilt und dass das beispiellose Revidieren des Urteils vier Monate nach seiner Veröffentlichung Fragen der Einmischung von außen aufwirft. Kamangila stellte fest, dass die ursprüngliche Entscheidung als „ein Schlüsselmoment in der Abkehr Afrikas von der Todesstrafe“ gelobt wurde. „Dieses verwirrende so genannte „perfekte“ Urteil stellt diesen Fortschritt in Frage und lässt das Justizsystem Malawis in einem schlechten Licht erscheinen. Wenn ein Gerichtsurteil wie im Fall Khoviwa quasi durch die Hintertür rückgängig gemacht werden kann, ist kein Urteil sicher. Das hat letztlich nichts mit der Abschaffung oder Beibehaltung der Todesstrafe zu tun, sondern ist eine Frage der Rechtsstaatlichkeit.“
Menschenrechtsaktivist:innen vor Ort befürchten nun nach der „Rolle rückwärts“ in Malawi, dass dies ein Rückschritt in der Frage nach der Abschaffung der Todesstrafe in ganz Afrika bedeuten kann. Sie sehen die Regierung in der Pflicht, die Todesstrafe in Malawi möglichst zeitnah per Gesetz abzuschaffen. Auch das Vereinigte Königreich – eine der wichtigsten Entwicklungshilfequellen Malawis – äußerte die Hoffnung, dass das malawische Parlament nun auf den Plan treten werde, um die Todesstrafe abzuschaffen. In einer am 20. August 2021 veröffentlichten Erklärung sagte Fiona Ritchie, die Geschäftsleiterin des britischen Hochkommissariats, dass die ursprüngliche Gerichtsentscheidung „Malawis internationales Ansehen für das Eintreten für die Menschenrechte erhöht hat“. Das Vereinigte Königreich „ermutigt die Regierung und das Parlament von Malawi, alternative Wege zur Streichung der Todesstrafe aus den Gesetzbüchern zu prüfen. Wir sind bereit, unsere Erfahrungen mit dem Prozess der Abschaffung der Todesstrafe zu teilen“, sagte sie.
Zum Hintergrund
Seit 1975 ist die Todesstrafe in Malawi nicht mehr vollstreckt worden. Andere Quellen nennen den 26. September 1992 als das Datum, an dem die letzte Hinrichtung stattfand. Fest steht, dass seit dem Amtsantritt der ersten demokratisch gewählten Regierung des Landes im Jahr 1994 keine Hinrichtungen mehr durchgeführt wurden.
Am 21. April 2021 hat Amnesty International den Bericht zur weltweiten Anwendung der Todesstrafe für das Jahr 2020 vorgelegt. Er dokumentiert, dass in Malawi aktuell 27 Personen auf die Vollstreckung ihres Todesurteils warten. Noch im vergangenen Jahr wurden mindestens zwei Todesstrafen dort verhängt. Die Todesstrafe ist in Malawi im Strafgesetzbuch und in Abschnitt 16 der Verfassung enthalten. Sie steht auf Mord, Hochverrat, Vergewaltigung, schweren Raub und Einbruch mit Gewaltanwendung. Bis Ende April 2007 war die Todesstrafe für Mord und Hochverrat zwingend vorgeschrieben. Durch eine Grundsatzentscheidung wird die Todesstrafe für diese beiden Delikte nun nicht mehr automatisch verhängt, sondern es müssen weitere Gesichtspunkte zur Strafzumessung wie Alter, Charakter etc. betrachtet werden. Durch ein weiteres Urteil des Obersten Gerichtshofs im Jahr 2010 werden alle Todesurteile, welche vor 2007 ergangen sind, neu verhandelt und mildernde Umstände zu Gunsten der Angeklagten betrachtet.
Die Todesstrafe ist in den meisten Ländern in Afrika südlich der Sahara noch immer in Kraft. Der Amnesty-Report zur Todesstrafe im Jahr 2020 weist aus, dass die Zahl der Hinrichtungen in dieser Region im vergangenen Jahr von 25 auf 16 Fälle zurückging und auch die Zahl der neu gefällten Todesurteile binnen Jahresfrist sank. Malawi wäre der 22. Staat in Subsahara-Afrika, der die Todesstrafe aufgibt. Zuletzt wurde in dieser Erdregion im Mai 2020 die Todesstrafe in der Republik Tschad abgeschafft, gefolgt von Sierra Leone, das die Todesstrafe im Juli 2021 per Gesetz beendete.
Zeit für ein Ende der Todesstrafe
Die Todesstrafe ist die ultimativ grausame, unmenschliche und erniedrigende Strafe und hat keinen Platz in dieser Welt. Die Todesstrafe ist ein Verstoß gegen das Recht auf Leben und ein Angriff auf die Menschenrechte. Gemeinsam mit Partnern auf der ganzen Welt wird Amnesty International seine globale Kampagne gegen die Todesstrafe fortsetzen, bis sie überall vollständig abgeschafft ist. Aktuell haben 144 Länder die Todesstrafe per Gesetz oder in der Praxis außer Vollzug gesetzt.
Mehr dazu:
- Das gesamte Urteil (in Englisch) ist frei zugänglich unter diesem [Link]
- [Kurzdossier] dieser Koordinationsgruppe zur Todesstrafe in Malawi