Iran: Trotz Corona-Pandemie Hunderte Hinrichtungen

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Der Amnesty International Report 2020/2021 zeigt ein düsteres Bild der Menschenrechtslage in Iran. Besonders empörend ist die häufige Anwendung der Todesstrafe. Sie dient in Iran nicht nur zur Verbrechensbekämpfung, sondern auch als Mittel der politischen Unterdrückung von Demonstrierenden, Andersdenkenden und Angehörigen von Minderheiten. Todesurteile ergehen nicht selten nach unfairen oder grob unfairen Gerichtsverfahren. So stützten sich Schuldsprüche zum Teil auf „Geständnisse“, die durch Folter oder andere Misshandlungen erzwungen wurden. Todesstrafen werden auch wegen vage formulierter Straftatbestände ausgesprochen. Hinrichtungen werden öffentlich vollzogen wie auch im Geheimen. Personen, die zur Tatzeit noch minderjährig waren, sind nicht von der Todesstrafe ausgenommen. Amnesty International ruft seit langem alle Länder, die an der Todesstrafe festhalten, einschließlich des Iran, auf, ein Hinrichtungsmoratorium zu erlassen, als ersten Schritt hin zur vollständigen Abschaffung der Todesstrafe.

Jugendlicher hingerichtet

Amnesty International hat erfahren, dass iranische Behörden heimlich einen jungen Mann hingerichtet haben, der zum Zeitpunkt seiner Festnahme noch ein Kind war und fast ein Jahrzehnt im Todestrakt verbracht hatte. Sajad Sanjari wurde im Morgengrauen des 2. August 2021 im Dizelabad-Gefängnis in der Provinz Kermanshah erhängt. Seine Familie wurde jedoch nicht informiert, bis ein Gefängnisbeamter sie später am Tag aufforderte, seine Leiche abzuholen.

Im August 2010 hatte die Polizei den damals 15-jährigen Sajad Sanjari festgenommen, weil er einen Mann erstochen hatte. Sajad Sanjari sagte, der Mann habe versucht, ihn zu vergewaltigen und erklärte, er habe in Notwehr gehandelt. Das Gericht wies die Selbstverteidigungsansprüche von Sajad Sanjari zurück und verurteilte ihn 2012 wegen Mordes zum Tode.

„Mit der geheimen Hinrichtung von Sajad Sanjari haben die iranischen Behörden einmal mehr die absolute Grausamkeit ihrer Jugendgerichtsbarkeit unter Beweis gestellt. Die Anwendung der Todesstrafe gegen Personen, die zum Zeitpunkt des Verbrechens unter 18 Jahre alt waren, ist nach internationalem Recht absolut verboten und stellt einen grausamen Angriff auf die Kinderrechte dar“, sagte Diana Eltahawy, stellvertretende Direktorin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International.

Amnesty hat mehr als 80 Personen in ganz Iran identifiziert, die derzeit wegen Verbrechen, die sie als Minderjährige begangen haben, in der Todeszelle sitzen. Im Jahr 2020 wurden mindestens drei zur Tatzeit unter 18-Jährige exekutiert. Damit ist Iran aktuell das einzige Land der Welt, das solche Hinrichtungen durchführt. Seit Januar 2005 hat Amnesty die Hinrichtungen von mindestens 95 jugendlichen Straftäterinnen und Straftätern aufgezeichnet. Die tatsächliche Zahl dürfte höher sein.

Die Tatsache, dass Sajad Sanjari heimlich hingerichtet wurde, festigt obendrein ein alarmierendes Muster der iranischen Behörden, heimlich oder kurzfristig Hinrichtungen durchzuführen, um die Chancen öffentlicher und privater Interventionen zu minimieren, Menschenleben zu retten. Zum Tode Verurteilte werden dazu in Einzelhaft verlegt und ihnen wird der Kontakt zur Außenwelt verweigert. Als Vertragsstaat der Konvention über die Rechte des Kindes und des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte ist Iran gesetzlich dazu verpflichtet, unter 18-Jährge wie Kinder zu behandeln und sicherzustellen, dass sie niemals der Todesstrafe oder lebenslanger Haft unterworfen werden. Nach iranischem Recht sind Mädchen ab etwa neun Jahren strafmündig, Jungen ab 15. Sie können in Fällen von Mord und bestimmten anderen Kapitalverbrechen genauso wie Erwachsene mit der Todesstrafe bestraft werden.

Akademiker zum Tode verurteilt

Erschütternd ist auch das Schicksal des iranisch-schwedischen Arztes und Wissenschaftlers Dr. Ahmadreza Djalali. Der ursprünglich in Schweden Ansässige war beruflich in Iran, als er im April 2016 festgenommen wurde. In einem Brief aus dem Gefängnis schreibt er, er sei inhaftiert worden, weil er sich weigerte, seine akademischen Beziehungen zu europäischen Institutionen zu nutzen, um für Iran zu spionieren. Im Oktober 2017 wurde er wegen „Verdorbenheit auf Erden“ zum Tode verurteilt. Das Revolutionsgericht in Teheran stützte sich dabei auf „Geständnisse“ Djalalis, die nach seinen Angaben unter Folter und durch andere Misshandlungen erzwungen worden waren. Ahmadreza Djalali weist die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen als von den Behörden konstruiert zurück. Ein Jahr später wurde das Todesurteil im Berufungsverfahren bestätigt, ohne dass Anwälte die Möglichkeit hatten, Anträge zu stellen. Mindestens zwei Anträge auf eine gerichtliche Überprüfung seines Falls wurden abgelehnt. Ein bereits festgesetzter Hinrichtungstermin (spätestens am 1. Dezember 2020) wurde allerdings verschoben. Die Tatsache, dass sich Dr. Ahmadreza Djalali in Haft ohne Kontakt zur Außenwelt befindet, lässt befürchten, dass er jederzeit hingerichtet werden kann. Die Prozesse gegen ihn verletzten grundlegende Standards für faire Gerichtsverfahren. Amnesty hält zudem den Straftatbestand „Verdorbenheit auf Erden“ für juristisch ungenau und willkürlich einsetzbar. Amnesty setzt sich für die Aufhebung des Todesurteils gegen Dr. Ahmadreza Djalali ein und fordert seine sofortige Freilassung

Hintergrundinformation

Iran führte 2020 mindestens 246 Hinrichtungen durch. Die Zahl der jährlichen zum Tode verurteilten und hingerichteten Personen ist zurückgegangen, nachdem Änderungen des Antibetäubungsmittelgesetzes im November 2017 in Kraft traten, die die Verhängung der Todesstrafe für Drogendelikte erschwerten. Iran gehört aber nichtsdestotrotz zu den Ländern mit den höchsten bekannt gewordenen Hinrichtungszahlen weltweit. Auf¬grund ungenügender Informationen war es nicht möglich, die Zahl der im Laufe des Jahres 2020 neu gefällten Todesurteile zu ermitteln.

Die Position von Amnesty International

Amnesty fordert die iranischen Behörden nachdrücklich dazu auf, diesen abscheulichen Verletzungen des Rechts auf Leben und der Rechte der Kinder ein Ende zu setzen, indem das Strafgesetzbuch geändert wird, um die Anwendung der Todesstrafe gegen Personen, die zum Zeitpunkt des Verbrechens keine 18 Jahre alt waren, unverzüglich zu verbieten. Des Weiteren sollte Iran ein offizielles generelles Hinrichtungsmoratorium mit dem Ziel verfügen, die Todesstrafe abzuschaffen.

Amnesty International wendet sich in allen Fällen, weltweit und ausnahmslos gegen die Todesstrafe, ungeachtet der Schwere und der Umstände einer Tat, der Schuld, Unschuld oder besonderen Eigenschaften des Verurteilten, oder der vom Staat gewählten Hinrichtungsmethode, da sie das in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgeschriebene Recht auf Leben verletzt und die grausamste, unmenschlichste und erniedrigendste aller Strafen darstellt.

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19. September 2021