Anfang August 2021 sind die Olympischen Sommerspiele in Tokio zu Ende gegangen. Jetzt geht es weiter. Am Dienstag, 24. August, starteten die Paralympics. Vertraut sind uns die feierliche Eröffnungs- und Schlussfeier, die Olympischen Ringe, die Fackel, das Feuer, die Siegerehrungen nach den Wettkämpfen, alles olympische Rituale und Symbole. Mit der Olympischen Bewegung eng verbundenen ist auch die „Olympische Idee“, die auf Werte und Ideale wie Freundschaft, Völkerverständigung sowie den Fairplay-Gedanken setzt. Das Motto dieser Spiele lautet: United by Emotion – Vereint durch Emotionen.
Die größte Sportveranstaltung der Welt war und ist in diesem Jahr in Japan zu Gast, dem Land der aufgehenden Sonne. Hinter dem schönen Schein einer glamourösen und perfekten Ausrichtung der Spiele versteckt sich jedoch ein überaus unschönes Detail des Gastlandes Japan: Die Todesstrafe. Wer kommt schon bei solch einem Sportevent auf den Gedanken, dass ein so fortschrittliches Land wie Japan noch die mittelalterlich anmutende Todesstrafe anwendet? Neben den USA ist Japan eines der ganz wenigen hoch industrialisierten und demokratischen Länder, in dem nach wie vor Hinrichtungen stattfinden. Gegenwärtig bedroht das japanische Strafrecht neunzehn Straftaten mit der Todesstrafe, darunter Mord sowie Raub und Vergewaltigung mit Todesfolge. In der Regel ergeht ein Todesurteil, wenn Angeklagte mehr als einen Menschen getötet haben und dabei äußerst grausam vorgegangen sind.
Vollzug der Todesstrafe ruht zurzeit
In Japan wurde 2020, zum ersten Mal seit neun Jahren, keine Todesstrafe vollstreckt. Das Gesetz schreibt für die sieben Vollzugsanstalten mit Todeszellen vor, dass lediglich zwischen dem 29. Dezember und 3. Januar eine kurze Hinrichtungspause einzuhalten ist. Auch im laufenden Jahr musste noch kein einziger Häftling den Gang zum Galgen antreten. Davor war die Todesstrafe seit 2012 in jedem Kalenderjahr vollstreckt worden. Insgesamt ordneten Justizminister zwischen 2012 und 2019 die Hinrichtungen von 46 Personen an. Im Jahr 2018 wurden 15 Personen exekutiert, so viele wie noch nie innerhalb von 12 Monaten, wenn man die jüngere Zeit betrachtet. Darunter befanden sich der ehemalige Aum-Shinrikyo-Sektenführer Shoko Asahara und 12 weitere ehemalige hochrangige Mitglieder der Sekte. Im Jahr 2019 wurden drei Hinrichtungen und zwei neue Todesurteile verzeichnet.
Geheime Vollstreckung
In Japan saßen zum Jahresende 2020 120 zum Tode Verurteilte in Haft, darunter sieben Frauen. Sie alle müssen damit rechnen, dass das Todesurteil an ihnen vollzogen wird, ohne zu wissen, wann ihr letzter Tag gekommen sein wird. In Japan werden Todesurteile durch Erhängen vollstreckt und finden meist im Geheimen statt. Den Verurteilten wird entweder erst einige Stunden vor der Exekution oder gar nicht im Vorhinein mitgeteilt, dass sie hingerichtet werden. Für Gefangene, die bereits alle Rechtsmittel ausgeschöpft haben und keine Aussicht auf Begnadigung mehr haben, bedeutet dies, dass sie tagtäglich, also zu jedem Zeitpunkt, den sie in der Todeszelle verbringen, mit ihrer Hinrichtung rechnen müssen. Manche erfahren erst dann von der bevorstehenden Hinrichtung, wenn sie aus der Zelle zum Galgen geführt werden. Die Familienangehörigen werden üblicherweise erst nach der Hinrichtung davon in Kenntnis gesetzt.
Menschenunwürdige Haftbedingungen
Amnesty International hat immer wieder die menschenunwürdigen Haftbedingungen in den japanischen Todestrakten kritisch hinterfragt. Anlass hierzu geben die extrem harten und demütigenden disziplinarischen Regelungen, denen zum Tode verurteilte Gefangene unterworfen sind. Die Gefängnisvorschriften sehen unter anderem vor, dass Todeskandidaten in Einzelhaft gehalten werden, während des ganzen Tages in derselben Position sitzen oder knien müssen und nicht nach ihren Bedürfnissen umhergehen oder schlafen dürfen. Fernsehen ist verboten. Die Zellen werden ständig videoüberwacht, das Licht ist auch nachts nie ganz ausgeschaltet. Abgesehen von kurzen Hofgängen ist es Gefangenen weder erlaubt, einander anzuschauen noch miteinander zu sprechen, noch unaufgefordert das Wort an die Wärter zu richten. Jeder „Verstoß“ wird vom Gefängnispersonal streng bestraft. Zum anderen müssen sie willkürliche Einschränkungen in ihrem Recht auf Kontakt zur Außenwelt hinnehmen. Sie dürfen lediglich Besuch von engen Familienangehörigen und, sofern vorhanden, ihren Anwälten erhalten. Diese Besuche sind begrenzt und werden überwacht. Der Briefverkehr ist eingeschränkt. Eine medizinische Versorgung erfolgt nur in begrenztem Umfang.
Japan verurteilt bis heute Gefangene mit geistigen, psychosozialen oder intellektuellen Behinderungen zum Tode und lässt sie hinrichten; dies ist ein eindeutiger Verstoß gegen das Völkerrecht und internationale Standards. Amnesty International hat Japan wiederholt wegen der Anwendung der Todesstrafe verurteilt, unter anderem mit Hinweis auf die Geheimhaltung, die die Exekutionen umgibt und die langen Zeiträume in Einzelhaft.
Hinrichtungsstopp – nur ein taktisches Manöver?
Im Jahr 2020 ordnete die damalige Justizministerin Masako Mori an, dass die Todesstrafe nicht vollstreckt wird. Zuletzt wurde am 26. Dezember 2019 ein chinesischer Staatsbürger in Fukuoka hingerichtet. Auch unter Justizministerin Yoko Kamikawa, die im September 2020 das Amt übernahm, gab es bisher keine Hinrichtungen. Es steht zu vermuten, dass dieser Hinrichtungsstopp mit der Ausrichtung der Olympischen Spiele in Verbindung steht, also lediglich ein taktisches Manöver ist. Denn solange das Land im Fokus der Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit wegen Olympia steht – so darf vermutet werden – möchte man gerne negative Schlagzeilen jeglicher Art vermeiden. Blickt man in der Historie zurück, so stellt man fest, dass das erste Kalenderjahr ohne Hinrichtungen in Japan 1964 war. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, aber damals fanden auch Olympische Sommerspiele statt – in Tokio.
Amnesty fordert ein Ende der Todesstrafe
Amnesty International lehnt die Todesstrafe uneingeschränkt in allen Fällen und ohne Ausnahme ab, ungeachtet der Art und Umstände des Verbrechens, der Schuld oder Unschuld oder anderer Eigenschaften der Person oder der Hinrichtungsmethode. Die Todesstrafe verletzt das in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgeschriebene Recht auf Leben und ist die grausamste, unmenschlichste und erniedrigendste aller Strafen. Genau aus diesem Grund fordert Amnesty Japan auf, die Todesstrafe abzuschaffen und als Vorstufe dazu unverzüglich einen verbindlichen Hinrichtungsstopp zu verfügen und keine neuen Todesurteile auszusprechen.