„Die Regierung hat beschlossen, die Initiative zur Abschaffung der Todesstrafe zu ergreifen, um die Grundrechte ihrer Bürgerinnen und Bürger zu respektieren. Sobald der Vorschlag das Parlament erreicht und angenommen wird, wird die Geschichte der Todesstrafe in unserem Land ein Ende finden.“Dies sind die Worte des stellvertretenden Justizministers von Sierra Leone, Umaru Napoleon Koroma. Er äußerte sich Mitte Mai 2021 anlässlich der Universal Periodic Review (UPR) der Vereinten Nationen (UN). Der UPR ist ein Instrument des 2006 geschaffenen Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen. Er sieht die regelmäßige Überprüfung der Menschenrechtslage in allen 193 Mitgliedstaaten der UN vor, und zwar im Rahmen eines „peer review“ Prozesses durch andere Staaten und die Zivilgesellschaft. Damit wird erstmals sichergestellt, dass der Schutz und die Förderung der Menschenrechte in keinem Land der Welt eine „innere Angelegenheit“ ist und alle Staaten gleichwertig überprüft werden.
Nun ließ Sierra Leone der Ankündigung Taten folgen: Am Freitag, 23. Juli 2021, teilte der Präsident des westafrikanischen Landes, Julius Maada Bio, auf Twitter mit, die Todesstrafe sei abgeschafft. Das Parlament hatte einstimmig eine Gesetzesänderung verabschiedet, mit der die Todesstrafe aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wurde. Das neue Gesetz sieht eine lebenslange oder mindestens 30-jährige Haftstrafe für Verbrechen vor, die bisher mit dem Tod bestraft wurden, wie die Parlamentsverwaltung mitteilte. Es wird erwartet, dass der Präsident den letzten formalen Akt bald vollzieht und das Gesetz unterzeichnet. Die Menschenrechtskommission von Sierra Leone begrüßte die Entscheidung des Parlaments und erklärte am Freitagabend auf Facebook, die Abschaffung der Todesstrafe sei ein großer Schritt, um den Wert eines Menschenlebens zu schützen. „Es ist ein Sieg für die Menschenrechte“, kommentierte Amnesty-Rechtsberater Oluwatosin Popoola.
Zur Lage in Sierra Leone
In Sierra Leone waren seit mehr als zehn Jahren keine Todesurteile mehr vollstreckt worden, allerdings stieg zuletzt die Zahl der zum Tode verurteilten Personen. So sind im vergangenen Jahr über 39 Menschen Todesurteile verhängt worden (21 Todesurteile in 2019). Im September 2011 hatte die Regierung ein offizielles Hinrichtungsmoratorium bestätigt. Obwohl die Verfassung von 1991 die Todesstrafe für schweren Raub, Mord, Hochverrat und Meuterei vorsah, fanden die letzten Hinrichtungen in Sierra Leone 1998 statt. Ein Militärgericht verurteilte damals nach einem Staatsstreich 34 Soldaten wegen Hochverrats und Mordes in einem unfairen Verfahren zum Tode, von denen 24 im Oktober 1998 öffentlich hingerichtet wurden. Ende 2020 befanden sich nach Erkenntnis von Amnesty insgesamt 94 Gefangene – 92 Männer und zwei Frauen – im Todesstrakt des Pademba-Road-Gefängnisses in der Hauptstadt Freetown. Zum Zeitpunkt der Abschaffung waren es Berichten zufolge insgesamt 99 Todeshäftlinge, deren Todesurteile nun umgewandelt werden. Exekutionen waren in der Regel durch den Strang vollzogen worden. Eine Novellierung des Strafverfahrensgesetzes sah seit November 1973 allerdings auch in einigen Fällen die Möglichkeit des Erschießens durch Exekutionskommandos vor. Gegen schwangere Frauen und Jugendliche unter 18 Jahren durften auch vor der Abschaffung keine Todesurteile, sondern nur Haftstrafen verhängt werden.
Die Zeichen standen zuletzt klar auf Abschaffung
Bereits 2005 hatte eine Versöhnungskommission, die zur Untersuchung des Bürgerkriegs von 1991 bis 2002, der 120.000 Menschen das Leben kostete, eingesetzt worden war, die Empfehlung ausgesprochen, die Todesstrafe zu beenden. Die Kommission bezeichnete die Todesstrafe als „Affront gegen eine zivilisierte Gesellschaft, die auf dem Recht auf Leben gründet“. Im Rahmen der Allgemeinen regelmäßigen Überprüfung durch den UN-Menschenrechtsrat am 22. September 2011 war das Land der Forderung nachgekommen, ein offizielles Hinrichtungsmoratorium zu verfügen. Verhängte Todesurteile wurden des Öfteren umgewandelt.
2012 stimmte das Land erstmals für eine Resolution der UN-Generalversammlung, die alle zwei Jahre an Staaten appelliert, ein Moratorium für die Anwendung der Todesstrafe zu verfügen, und zwar als Vorstufe für ihre alsbaldige Abschaffung per Gesetz. Bei früheren Abstimmungen hatte Sierra Leone stets mit „Enthaltung“ votiert.
Im Wahlkampf 2018 kündigte Präsident Julius Maada Bio seine Absicht an, die Todesstrafe streichen zu wollen.
Die Welt wendet sich von der Todesstrafe ab
Sierra Leone ist jetzt das 22. Land in der Region Subsahara-Afrika, das die Todesstrafe für alle Verbrechen abgeschafft hat. Zuvor hatte der Staat Tschad im Jahr 2020 diesen Schritt vollzogen. Am 28. April 2021 erklärte das Oberste Berufungsgericht von Malawi die Todesstrafe als unvereinbar mit der Verfassung des Landes. Die Anwendung der Todesstrafe ging in Subsahara-Afrika zuletzt merklich zurück: So sanken die registrierten Hinrichtungen im Jahr 2020 gegenüber dem Vorjahr um 36 Prozent (von 25 in 2019 auf 16 in 2020), die Zahl der neu verhängten Todesurteile um 6 Prozent (von 325 in 2019 auf 305 in 2020). Insgesamt haben derzeit 109 Staaten weltweit die Todesstrafe vollständig aufgegeben. Rund um den Erdball haben 144 Staaten die Todesstrafe per Gesetz oder zumindest in der Praxis abgeschafft.