Mustafa al-Darwish, ein junger Mann aus Saudi-Arabien, befand sich in unmittelbarer Gefahr, hingerichtet zu werden. Der 26-Jährige war am 25. Mai 2015 von Sicherheitskräften festgenommen worden, weil er an regierungskritischen Unruhen in der mehrheitlich schiitischen Ostprovinz des Landes teilgenommen haben soll. Zwei Jahre lang wurde er im al-Mabahith-Gefängnis in Damman – der Hauptstadt der saudi-arabischen Ostprovinz – festgehalten, bevor man ihn vor Gericht stellte. Die ersten sechs Monate verbrachte er in Einzelhaft und ohne Kontakt zur Außenwelt. Auch hatte er bis zum Beginn seines Prozesses keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand. Diese Behandlung stellt einen schwerwiegenden Verstoß gegen seine Verfahrensrechte und sein Recht auf ein faires Verfahren dar.
Am 28. März 2018 verurteilte das Sonderstrafgericht Mustafa al-Darwish zum Tode. Zu den Anklagepunkten gehörten „Teilnahme an einem bewaffneten Aufstand gegen die Machthaber“, „Errichtung von Straßenblockaden“, „Säen von Zwietracht“, „Bildung eines bewaffneten Terrornetzwerks und Beschuss von Sicherheitsbeamten“, „Herstellung von Molotowcocktails zum Zweck der Untergrabung der Staatssicherheit und deren Wurf auf eine Sicherheitspatrouille“ und „Versuchte Störung des nationalen Zusammenhalts durch Teilnahme an Ausschreitungen in mehr als zehn Fällen“. Darüber hinaus wurde ihm vorgeworfen, durch die „Speicherung von Informationen, die die öffentliche Ordnung beeinträchtigen“, gegen Paragraf 6 zur Bekämpfung von Internetkriminalität verstoßen zu haben.
Vor Gericht gab Mustafa al-Darwish an, dass seine „Geständnisse“, auf die sich die Anklagen stützen, unter Folter erzwungen seien und dass er aus Angst um sein Leben „gestanden“ habe. Außerdem habe ihm ein Richter mit weiteren Schlägen und Folter gedroht, sollte er sein Geständnis nicht mit einer Unterschrift vor Gericht bestätigen.
Da in der Anklageschrift die Monate nicht angegeben sind, in der Mustafa al-Darwish die ihm vorgeworfenen Taten begangen haben soll, könnte es sein, dass er zum Zeitpunkt seiner angeblichen Teilnahme an den Unruhen erst 17 Jahre alt war. Somit würde sein Fall unter das neue Jugendstrafrecht fallen. Nach internationalem Recht ist die Verhängung der Todesstrafe gegen Personen, die zum Zeitpunkt der Tat unter 18 Jahre alt waren, streng verboten.
Saudi-Arabien muss unverzüglich alle Pläne zur Hinrichtung von Mustafa al-Darwish stoppen, der wegen seiner Beteiligung an Ausschreitungen gegen die Regierung nach einem zutiefst fehlerhaften Verfahren und auf der Grundlage eines „Geständnisses“, das durch Folter erlangt wurde, zum Tode verurteilt worden ist“, forderte Lynn Maalouf, Nahost-Expertin bei Amnesty International.
Nachdem der Oberste Gerichtshof sein Todesurteil bestätigt hatte und sein Fall an das Präsidium für Staatssicherheit verwiesen wurde, musste damit gerechnet werden, dass Mustafa al-Darwish jederzeit hingerichtet werden kann. Amnesty International forderte König Salman auf, das Todesurteil nicht zu unterzeichnen und stattdessen die zuständigen Justizorgane anzuweisen, seine Verurteilung aufzuheben und stattdessen ein neues Verfahren zu eröffnen, das den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren entspricht.
Am 15. Juni 2021 wurde Mustafa al-Darwish hingerichtet. Mit diesem vollstreckten Todesurteil haben die saudischen Behörden einmal mehr gezeigt, dass sie das Recht auf Leben in beklagenswerter Weise mit Missachtung strafen. Mustafa al-Darwish ist das jüngste Opfer des zutiefst fehlerbehaften Justizsystems Saudi-Arabiens, in dem regelmäßig Menschen nach grob unfairen Gerichtsverfahren aufgrund von „Geständnissen“, die durch Folter erzwungen wurden, zum Tode verurteilt werden.
- Eine Pressemitteilung von Amnesty in englischer Sprache kannst du [hier] nachlesen.
Hintergrundinformation
Amnesty International hat seit 2013 einen starken Anstieg bei Todesurteilen gegen politisch Andersdenkende in Saudi-Arabien dokumentiert. Betroffen sind unter anderem häufig Angehörige der schiitischen Minderheit. Eine besondere Rolle spielt dabei das Sonderstrafgericht (SCC), das nach grob unfairen Prozessen lange Gefängnisstrafen und Todesurteile verhängt. Foltervorwürfen während der Haft ging die Staatsanwaltschaft bisher nicht systematisch nach.
Im April 2020 kündigte Saudi-Arabien an, Personen, die zum Tatzeitpunkt unter 18 Jahren waren und deren Fälle nicht in den Bereich des Antiterrorgesetzes fallen, von der Verhängung der Todesstrafe auszuklammern. Die Ankündigung folgt auf das 2018 erlassene Jugendgesetz, das Gerichte daran hinderte, nach freiem Ermessen Todesurteile gegen Personen unter 15 Jahren zu verhängen. Ihr müssen klare Anwendungsbestimmungen folgen, die keine Ausnahmen für Minderjährige zulassen.
Die Todesstrafe ist die grausamste, unmenschlichste und erniedrigendste aller Strafen. Amnesty International wendet sich in allen Fällen ausnahmslos gegen die Todesstrafe, unabhängig von der beschuldigten Person, vom Verbrechen, der Schuld oder Unschuld oder auch der Hinrichtungsmethode. Saudi-Arabien hat eine der höchsten Hinrichtungsraten weltweit. Amnesty International fordert, ein offizielles Hinrichtungsmoratorium zu verfügen, und zwar als ersten Schritt hin zur vollständigen Abschaffung der Todesstrafe in Saudi-Arabien.