Wideraufnahmeverfahren nach 54 Jahren – Hoffnung für japanischen Gefangenen Iwao Hakamada

Iwao Hakamada, heute 84 Jahre, ist ein ehemaliger japanischer Profiboxer, der 1966 verhaftet und wegen Mordes und Brandstiftung zum Tode verurteilt wurde. Er soll als Fabrikarbeiter seinen Arbeitgeber, dessen Ehefrau und seine zwei Kinder erstochen und anschließend ihr Haus in Brand gesetzt haben.

Hakamada legte ein „Geständnis“ ab, was er jedoch direkt danach widerrief, da er nach eigenen Angaben nur unter tagelanger Folter durch Schläge seitens der Polizei aussagte. Diese verhörte ihn zwanzig Tage lang über eine Dauer von 12 Stunden pro Tag um so ein erzwungenes „Geständnis“ zu erwirken. Zu diesem Zeitpunkt hatte er keinen Zugang zu rechtlichem Beistand. Trotz Unstimmigkeiten in der Beweislage, verurteilten ihn die Richter zum Tode. Als ausschlaggebendes Beweisstück wurde ein bei Hakamada gefundenes Kleidungsstück mit Blut herangezogen, welches angeblich dem Opfer zugeordnet werden konnte. Dies wurde später jedoch durch weitere DNA-Tests widerlegt. Derr Fall ging durch alle Instanzen. Bis in jüngste Zeit wurden alle Anträge seitens der Verteidigung zur Wideraufnahme des Verfahrens abgelehnt. Seit 1980 ist das Todesurteil rechtskräftig.

„Einer der Verhörbeamten drückte meinen Daumen auf ein Stempelkissen, zog ihn zu einem bereits geschriebenen Geständnis und befahl: ‚Schreib deinen Namen hier hin.’ Dabei schrie er mich an, stieß mich mit dem Fuß und verdrehte meinen Arm.“
Iwao Hakamada in einem Brief an seine Schwester

Die nächsten 48 Jahre war Hakamada inhaftiert und verbüßte die meiste Zeit in Einzelhaft. Kaum ein Gefangener weltweit hat eine so lange Haftstrafe im Todestrakt verbringen müssen. Die ständige Angst vor der Hinrichtung, welche in Japan ohne Ankündigung vorgenommen werden, führte zu einer diagnostizierten Psychose, verursacht durch die Umstände der Haft in der Todeszelle. Hinzu kam im Zuge dessen seine weiter abnehmende körperliche Verfassung.

Roseann Rife, Direktorin für Ostasien bei Amnesty International, kommentierte den Fall damals so: „Die japanischen Behörden sollten sich für die barbarische Behandlung, die Hakamada erhielt, schämen“.

2014 gewährte ihm das Bezirksgericht Shizuoka eine Wideraufnahme des Verfahrens und entschied den Vollzug der Todesstrafe auszusetzen und Hakamada aufgrund seiner langen Haftzeit vorläufig freizulassen. Trotz eindringlicher Apelle seitens Amnesty Internationals sowie einem öffentlichen Bekenntnis vom einem der drei verurteilenden Richter, er halte Hakamada für unschuldig, legte die Staatsanwaltschaft Berufung gegen das Urteil des Bezirksgerichts Shizuoka ein. Das hohe Gericht in Tokio entschied am 11. Juni 2019 die Wideraufnahme des Verfahrens abzulehnen. Auch gegen dieses Urteil legte das Verteidigungsteam von Hakamada Rechtsmittel ein.

Späte Gerechtigkeit?

Ende letzten Jahres kam es zu einer dramatischen Wende: Der Oberste Gerichtshof bestätigte am 23.12.2020, der Revision stattgeben zu haben und somit ein Wideraufnahmeverfahren zu ermöglichen. Dies ist nach jahrzehntelangem Warten und der ständigen Unsicherheit ein erster Schritt in die richtige Richtung für Hakamada und könnte seine mögliche Unschuld nun klären.

Sein Anwalt Yoshiyuki Todate reagierte auf seinem Blog: „Meine Hände zittern immer noch, nachdem ich das gehört habe. Ich bin sehr, sehr froh“.

Susumu Murakoshi, Präsident der japanischen Anwaltskammer, kritisierte die Strafverfolgungsbehörden und ihre lang gehegte Abneigung, die in ihrem Besitz befindlichen Beweise und die gesamte Verhörprotokolle vollständig offenzulegen: „Eine unschuldige Person ins Gefängnis und zum Tode durch den Strang zu verurteilten, ist die denkbar schlimmste Menschenrechtsverletzung.“

Amnesty International fordert nun ein faires Verfahren für Hakamada sowie Kompensation für seine mentalen Qualen nach Jahren der Isolationshaft im Todestrakt.

Todesstrafe in Japan

Japan führt nach wie vor Hinrichtungen durch und besitzt keine Schutzgarantien gegen den Vollzug der Todesstrafe an Personen mit geistigen, psychosozialen oder intellektuellen Behinderungen. In Japan erfolgen Hinrichtungen durch Erhängen und werden üblicherweise im Geheimen durchgeführt. Todeszelleninsassen erfahren von ihrer Hinrichtung erst am Morgen desselben Tages. 2019 wurden drei Todesurteile vollstreckt und zwei neue gefällt. Zum Jahresende 2019 befanden sich ins¬gesamt 121 Personen im Todestrakt, davon 112, deren Todesurteil rechtskräftig ist und jederzeit vollstreckt werden könnte. Im Juni 2019 gründete sich unter Beteiligung von Amnesty International ein Bürgerausschuss zur Abschaffung der Todesstrafe, um den Dialog über die Abkehr von der Todesstrafe voranzutreiben.

Was tun?

Schreibt bitte Briefe an die japanische Justizministerin, in denen ihr eure Sorge darüber ausdrückt, dass Iwao Hakamada auf Grundlage eines erzwungenen „Geständnisses“ zum Tode verurteilt wurde. Fordert die Behörden dazu auf, in Japan ein offizielles Hinrichtungsmoratorium zu verhängen.

Schreibt bitte in gutem Japanisch, Englisch oder auf Deutsch an:
Justizministerin YōkoKamikawa
1-1-1 KasumigasekiChiyoda-ku
Tokio 100-8977
JAPAN
(Anrede: Dear Minister / Sehr geehrte Frau Ministerin)

Sende eine Kopie an die
Botschaft von Japan
S.E. Herr Hidenao Yanagi
Hiroshimastraße 6
10785 Berlin
E-Mail: info@bo.mofa.go.jp

Amnesty International, Koordinationsgruppe gegen die Todesstrafe, 10.01.2021

10. Januar 2021