Die USA unternahmen in den letzten Wochen und Monaten – trotz grassierender COVID-19-Pandemie – große Anstrengungen, wieder Menschen hinrichten zu lassen, die nach Bundesrecht zum Tode verurteilt wurden. Erstmals seit 17 Jahren wurden wieder ab Juli 2020 solche Hinrichtungen vollzogen. In den Folgemonaten sind insgesamt 13 Gefangene exekutiert worden. Nie zuvor wurden durch eine US-Regierung so viele Todesurteile in so kurzer Zeit vollstreckt.
Der inzwischen zurückgetretene US-Justizminister William Barr hatte zunächst in vier Fällen Hinrichtungstermine angesetzt, und zwar für den 13. Juli (Daniel Lee †), 15. Juli (Wesley Purkey †), 17. Juli (Dustin Honken †) sowie den 28. August 2020 (Keith D. Nelson †). Anfang August ergingen drei weitere Hinrichtungsbefehle: 26. August (Lezmond Mitchell †), 22. September (William E. LeCroy †) und 24. September (Christopher A. Vialva †). Am 19. November folgte die achte Urteilsvollstreckung (Orlando Hall †). Die Hinrichtungen Nummer neun und zehn wurden am 10. Dezember (Brandon Bernard †) und am 11. Dezember (Alfred Bourgeois †) vollzogen. In kurzer zeitlicher Aufeinanderfolge wurden im Januar 2021 die Todesurteile Nummer 11 bis 13 vollstreckt, und zwar am 13. Januar (Lisa Montgomery †), am 14. Januar (Corey Johnson †) und am 16. Januar (Dustin Higgs †).
Vollstreckung nach juristischem Tauziehen
Um die ersten drei Hinrichtungen entbrannte ein heftiger juristischer Streit. In den letzten Tagen vor den angesetzen Terminen wurden von den Anwälten der Todeskandidaten mehrere Anträge und Beschwerden in letzter Minute eingereicht, darunter erneut ein Antrag, der die Verfassungsmäßigkeit der vorgesehenen Hinrichtungsmethode in Zweifel zieht. Der Oberste Gerichtshof urteilte schließlich in der Nacht zu Dienstag, 14. Juli 2020, in einer knappen 5:4-Entscheidung und befand, dass die Hinrichtungen wie geplant stattfinden sollten. Daraufhin wurde der 47-jährige verurteilte Mörder Daniel Lee mit der Giftspritze exekutiert. Er hatte 21 Jahre im Gefängnis verbracht. Die Hinterbliebenen von Lees Opfern waren mit der Todesstrafe gegen ihn nicht einverstanden und hatten gefordert, diese in eine lebenslange Haftstrafe umzuwandeln, vergeblich.
In den frühen Morgenstunden des 16. Juli 2020 wurde auch das Todesurteil an dem 68-jährigen Wesley Purkey vollstreckt, von dem es heißt, er litt an Demenz und konnte die Gründe seiner Bestrafung nicht mehr begreifen.
Die dritte Hinrichtung binnen vier Tagen wurde wie geplant am 17. Juli 2020 nachmittags an dem 52-jährigen Dustin Honken vollzogen, der des Mordes an fünf Menschen überführt worden war.
Am 26. August 2020 erfolgte die vierte Hinrichtung. Lezmond Mitchell starb durch eine Giftspritze. Der 38-jährige war Angehöriger des Indianerstamms der Navajo. 2001 hatte er gemeinsam mit einem Komplizen eine Frau und ein Kind getötet. Die Hinrichtung wurde vollzogen, obwohl die Interamerikanische Menschenrechtskommission (ein unabhängiges Organ der Organisation Amerikanischer Staaten) einen Vollstreckungsaufschub beantragt hatte.
Die fünfte Exekution fand in schneller Folge zwei Tage später statt. Der 45-jährige Keith Dwayne Nelson wurde am 28. August 2020 hingerichtet. Nelson war im Jahr 2003 wegen der Entführung und Ermordung eines Kindes zum Tode verurteilt worden.
Die Hinrichtungen Nummer sechs und sieben folgten am 22. und 24. September 2020 wie geplant und wurden an verurteilten Mördern vollzogen.
Am 19. November 2020 wurde das achte Todesurteil vollstreckt, und zwar an dem Afroamerikaner Orlando Hall. Hall war 1995 wegen Beteiligung an der Entführung, Vergewaltigung und Ermordung eines 16-jährigen Mädchens schuldig gesprochen und von einer nur mit Weißen besetzten Jury zum Tode verurteilt worden. Die Hinrichtung des 49-Jährigen erfolgte, nachdem der Supreme Court Halls Einspruch zurückgewiesen hatte. Erstmals war die neue Verfassungsrichterin Amy Coney Barrett an einer solchen Entscheidung beteiligt. Sie gab an der Seite ihrer fünf konservativen Kollegen grünes Licht für die Exekution.
Am 10. Dezember 2020, dem Internationalen Tag der Menschenrechte, ist der 40-jährige Afroamerikaner Brandon Bernard exekutiert worden, obwohl sich zahlreiche prominente Unterstützer_innen dagegen ausgesprochen hatten. Bernard war als 18-jähriges Gangmitglied wegen Mordes festgenommen und zum Tode verurteilt worden. Er ist ein Komplize von Christopher Vialva, dessen Todesurteil bereits am 22. September vollstreckt worden war.
Der Afroamerikaner Alfred Bourgeois (56) wurde am 11. Dezember 2020 mit einer Giftspritze als 10. Gefangener getötet. Er war im Jahr 2004 schuldig gesprochen worden, seine damals zweieinhalb Jahre alte Tochter brutal umgebracht zu haben. Er litt an einer geistigen Behinderung.
Lisa Montgomery wurde am 13. Januar 2021 exekutiert. Sie ist die erste Frau seit 1953, die von der US-Bundesregierung hingerichtet wurde. Montgomery (52) wurde für schuldig befunden, im Dezember 2004 eine schwangere Frau getötet zu haben. Sie war eine von nur 55 Frauen, die in US-amerikanischen Gefängnissen im Todestrakt einsitzen.
Die Hinrichtung von Corey Johnson erfolgte am 14. Januar 2021. Der 52-Jährige war zum Tode verurteilt worden, weil er 1992 im US-Bundesstaat Virginia im Zusammenhang mit bandenmäßig betriebenem Drogenhandel sieben Menschen ermordet hatte. Er soll mit einem IQ von 69 geistig stark eingeschränkt gewesen sein. Die Hinrichtung geistig Behinderter ist in den USA verboten.
Zwei Tage darauf, am 16. Januar 2021, wurde Dustin Higgs mittels Giftspritze getötet. Der 48-jährige Higgs erhielt die Todesstrafe, weil man ihn für die Entführung und Ermordung dreier junger Frauen im Jahr 1996 verantwortlich machte. Er bestritt die Taten bis zuletzt.
Gegen die Tradition
Mit der Vollstreckung des Todesurteils an Hall brach die amtierende Bundesregierung von Donald Trump mit einer jahrzehntelangen Gepflogenheit, kurz vor einem Regierungswechsel (presidential transition) keine Hinrichtungen auf Bundesebene mehr zu vollziehen. Am 20. November 2020 gab der damalige US-Justizminister Barr überdies bekannt, dass drei weitere Hinrichtungen angesetzt wurden. Am 27. November 2020 wurde außerdem eine geänderte Vorschrift veröffentlicht, die es der Bundesregierung künftig erlaubt, neben der Giftspritze zusätzliche Hinrichtungsmethoden einzusetzen, um Häftlinge in den Todeszellen des Bundes zu exekutieren.
Der gewählte Präsident Joe Biden gilt als Gegner der Todesstrafe und hatte im Wahlkampf wiederholt angekündigt, Rechtsverordnungen in die Wege zu leiten, um die Exekutionen auf Bundesebene einzustellen und Todesstrafen in lebenslängliche Haftstrafen umzuwandeln.
17 Jahre ohne Hinrichtung
Seit 2003 hatte es keine Hinrichtung mehr auf Bundesebene in den USA gegeben. Die Todesstrafe wurde seitdem zwar weiter verhängt, aber nicht vollstreckt. Seit 1988 hatte es lediglich drei Vollstreckungen der Todesstrafe nach Bundesrecht gegeben. Unter anderem wurde 2001 Timothy McVeigh hingerichtet, der 1995 den Bombenanschlag in Oklahoma City verübt hatte. Für die Regierung von Präsident Donald Trump war und ist der Kampf gegen das Verbrechen ein zentrales Wahlversprechen. Seit 2019 strebte sie intensiv danach, das unter der Administration Barack Obamas eingerichtete De-facto-Hinrichtungsmoratorium des Bundes zu beenden.
Präsident Trump wird mit den Worten zitiert: “Ich war immer für die Todesstrafe, immer schon, weiß gar nicht, wie man dagegen sein kann.”
Todesurteile, die von Bundesgerichten gefällt werden, sind in den USA selten. Üblicherweise ist die Todesstrafe eine Domäne der US-Bundesstaaten. Nach Bundesrecht geahndet werden können Vergehen nach dem Militärstrafrecht oder neben Mord wenige andere Verbrechen – darunter auch Terrorismus, schwere Drogendelikte und Spionage. Fälle, in denen Straftäterinnen und Straftäter von Bundesgerichten zum Tode verurteilt wurden, liegen in der Hand der Bundesregierung. Gegenwärtig sitzen 49 Häftlinge in den Todeszellen des Bundes in der Haftanstalt Terre Haute, Bundesstaat Indiana, ein. Weitere vier Gefangene warten im Militärgefängnis von Fort Leavenworth, Kansas, auf ihre Hinrichtung.
Umstrittene Hinrichtungsmethode
Seit geraumer Zeit gab es Rechtsstreitigkeiten über die Todestrafe nach Bundesrecht. Dabei ging es nicht um die Todesstrafe an sich, sondern um die geänderte Hinrichtungsmethode. Ein Gesetz aus dem Jahr 1994 schreibt eine Giftspritze vor, bestehend aus einer Mischung aus drei Wirkstoffen. Nach dem Willen der Bundesregierung sollte mit nur einer einzigen Wirksubstanz (Pentobarbital, ein Schlafmittel) die Todesstrafe nach Bundesrecht vollstreckt werden. Berichte, wonach gerade diese Tötungstechnik zu qualvollen Toden geführt habe, veranlassten den angerufenen Obersten Gerichtshof im Dezember 2019, Pläne zur Wiederaufnahme von Hinrichtungen auf Bundesebene mit Blick auf die ausgewählte Exekutionsmethode zunächst zu blockieren. Am 7. April 2020 hob jedoch das US Berufungsgericht für den District of Columbia Circuit den Hinrichtungsstopp auf. Am 1. Juli 2020 gab der Oberste Gerichtshof der USA schließlich sein Einverständnis zur Wiederaufnahme von Hinrichtungen auf Bundesebene, indem er mehrheitlich entschied, über die von der Trump-Regierung geänderten Regularien für die Exekutionsmethode nicht zu verhandeln.
Die US-Bundesregierung wird künftig zusätzliche Hinrichtungsmethoden erlauben. Eine geänderte Vorschrift für die Vollstreckung der Todesstrafe auf Bundesebene ermöglicht ab dem 24. Dezember 2020, neben der Giftspritze auch andere Hinrichtungsmethoden wie Erschießen, den elektrischen Stuhl oder tödliches Gas einzusetzen. Das geht aus einem Ukas hervor, der am 27. November 2020 im Amtsblatt der Bundesregierung veröffentlicht wurde. Demnach sollen Exekutionen mit allen Hinrichtungsmethoden durchgeführt werden können, die in dem Bundesstaat legal sind, in dem das Todesurteil ergangen war. Hinrichtungen werden meist per Giftspritze vollzogen, doch in manchen Staaten sehen Gesetze auch Alternativen vor.
Klarer Trend gegen die Todesstrafe
Die US-Bundesbehörden haben eine beispiellose Zahl von 13 Hinrichtungen durchgeführt. Damit haben sie gegen den Trend zur Abschaffung der Todesstrafe in den USA und weltweit gehandelt. Die kompromisslose Anwendung der Todesstrafe in den vergangenen Monaten hat nicht nur neue Belege für die Mängel und Willkür zutage gefördert, die schon lange das Todesstrafensystem in den USA prägen. Zudem offenbart dieses Vorgehen eine behördliche Missachtung der Schutzmaßnahmen und Beschränkungen, die unter dem Völkerrecht und internationalen Standards festgelegt sind, um die Rechte von zum Tode verurteilten Menschen zu gewährleisten. Rassistische Voreingenommenheit und fehlerhafte anwaltliche Vertretung der Angeklagten sind zwei der häufigsten Faktoren, die zu falschen Entscheidungen über Tod oder Leben beitragen. Betroffen davon sind auch Menschen mit schweren psychosozialen und intellektuellen Beeinträchtigungen.
Die jährlichen Hinrichtungen und Todesurteile in den USA sind – ungeachtet der Hinrichtungswelle des Bundes – rückläufig. Die Gesamtzahlen des Jahres 2020 markieren Tiefststände. Die Entscheidung von Präsident Donald Trump, nach einer langjährigen Unterbrechung die Hinrichtungspraxis wiederzubeleben, hat international scharfe Kritik ausgelöst. Eine Rüge kam auch von der Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, Bärbel Kofler. Sie rief die US-Regierung auf, von den geplanten Hinrichtungen abzusehen und das De-facto-Moratorium der Vollstreckung wieder einzusetzen.
Ohio untersagt die Giftspritze
Unterdessen hat der Bundesstaat Ohio die Verwendung der Giftspritze bei Hinrichtungen verboten und das bereits seit Anfang 2019 bestehende inoffizielle Hinrichtungsmoratorium bekräftigt. Der Gesetzgeber muss eine andere Hinrichtungsmethode finden, sagte der republikanische Gouverneur des Bundesstaates. Die Entscheidung ist eine Reaktion auf wachsende Kritik an den Qualen, die Verurteilte bei dem Erstickungstod durch die Giftspritze erleiden. Außerdem weigern sich Arzneimittelhersteller zunehmend, die Substanzen für Hinrichtungen zu liefern.
Die Position von Amnesty
Die Todesstrafe ist nach Überzeugung von Amnesty International nicht die Lösung, niemals. Die Menschenrechtsorganisation wendet sich in allen Fällen, weltweit und ausnahmslos gegen die Todesstrafe, ungeachtet der Schwere und der Umstände einer Tat, der Schuld, Unschuld oder besonderen Eigenschaften der verurteilten Person, oder der vom Staat gewählten Hinrichtungsmethode.
Bis heute haben 106 Länder die Todesstrafe als Strafe für alle Verbrechen abgeschafft, mehr als zwei Drittel der Länder haben sie per Gesetz oder in der Praxis eingestellt. In den USA haben 22 der 50 Bundesstaaten die Todesstrafe aus ihren Gesetzbüchern gestrichen. Auch im Hauptstadtdistrikt Columbia ist die Todesstrafe untersagt. Elf weitere Bundesstaaten haben seit mehr als zehn Jahren kein Todesurteil mehr vollstreckt. Im Jahr 2020 sind in den USA 17 Gefangene hingerichtet worden (2019: 22). Auf das neue Jahr 2021 entfallen bereits schon wieder drei Exekutionen.