Vor rund einem Jahr hat der Afrikanische Gerichtshof für Menschenrechte und die Rechte der Völker der weltweiten Kampagne zur Abschaffung der Todesstrafe neue Impulse verliehen. Am 28. November 2019 entschied das Menschenrechtsgericht in einem wegweisenden Urteil, dass die zwingende Todesstrafe bei einer Verurteilung wegen Mordes eine Verletzung des Rechts auf Leben sei, das in Artikel 4 der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker geschützt ist. Der Gerichtshof hatte im Juni 2006 seine Arbeit aufgenommen und hat seinen Sitz in Arusha im Nordosten von Tansania.
Einige afrikanische Staaten schreiben für bestimmte Delikte wie beispielsweise Mord die Todesstrafe zwingend vor. Dies bedeutet, dass es den Gerichten bei der Strafzumessung weder erlaubt ist, strafmildernde Umstände zu berücksichtigen, noch auf einen Strafrahmen zurückzugreifen. Im Falle eines Schuldspruchs muss das Urteil daher unter allen Umständen „Todesstrafe“ lauten.
Dem Urteil des Afrikanischen Menschenrechtsgerichtshofs vorangegangen war die Prüfung des Falls, den der tansanische zum Tode Verurteilte Ally Rajabu und andere gegen die Regierung von Tansania eingereicht hatten. Die Richterinnen und Richter kamen zu dem Schluss, dass die obligatorische, also zwingende Verhängung der Todesstrafe offenkundig unfair sei, da sie einer verurteilten Person das Recht verweigere, gehört zu werden und mildernde Umstände vorzubringen. Das Gericht entschied ferner, dass ein zwingendes Todesurteil mit einem ordnungsgemäßen Verfahren unvereinbar ist und gegen die Grundsätze für ein faires Strafverfahren verstößt, indem es die Gerichte daran hindert, eine der Schuld angemessene Strafe zu verhängen, die den individuellen Umständen des jeweiligen Verbrechens Rechnung trägt. Der afrikanische Menschenrechtsgerichtshof stellte außerdem fest, dass das Hängen als Hinrichtungsmethode aufgrund des damit verbundenen Leidens Folter und grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung bedeutet.
„Das afrikanische Menschenrechtsgericht hat neue Wege beschritten, indem es die inhärente Ungerechtigkeit hervorgehoben hat, die die Verurteilung von Menschen zum Tode bedeutet, ohne ihnen dabei die grundlegendste Voraussetzung zu gewähren, nämlich ein faires Gerichtsverfahren“, kommentierte Netsanet Belay, Afrikadirektor von Amnesty International.
„Auch fast ein Jahr danach, hat Tansania noch immer nicht das Urteil des Gerichtshofs für Menschenrechte umgesetzt“, bemängelte Netsanet Belay. Der Gerichtshof hatte entschieden, dass Paragraf 197 des Strafgesetzbuchs von Tansania, der ein obligatorisches Todesurteil für Mord vorschreibt, gegen Bestimmungen der Afrikanischen Menschenrechts-Charta verstößt. „Und noch besorgniserregender ist, dass die Staaten Botsuana, Ägypten, Somalia und Südsudan seitdem Hinrichtungen durchgeführt haben. Wir fordern alle Mitgliedstaaten der Afrikanischen Union, die die Todesstrafe in ihren Gesetzen beibehalten, auf, diese Strafe aufzugeben. Bis zur Abschaffung, sollte rasch ein offizielles Hinrichtungsmoratorium verfügt und alle Todesstrafen unverzüglich in Haftstrafen umgewandelt werden“, betonte der Amnesty-Direktor.
Hintergrund
Afrika verzeichnete in den letzten vier Jahrzehnten bedeutende Fortschritte bei der Abschaffung der Todesstrafe: Während vor 40 Jahren kein einziges afrikanisches Land die Todesstrafe für alle Verbrechen abgeschafft hatte, sind es heute bereits 20 Staaten. Von den verbleibenden afrikanischen Ländern, die die Todesstrafe in ihren Gesetzen noch beibehalten, haben immerhin 17 die Todesstrafe in der Praxis eingestellt. Das heißt, sie haben in den letzten 10 Jahren niemanden mehr hingerichtet und dies nicht etwa zufällig, sondern weil sie eine Politik verfolgen oder eine etablierte Praxis haben, keine Gefangenen mehr hinzurichten.