Indien: Die Todesstrafe beendet Gewalt gegen Frauen nicht

© Peter Marshall / Demotix

Mukesh Singh, Pawan Gupta, Vinay Kumar Sharma und Akshay Thakur wurden am 20. März 2020 wegen Gruppenvergewaltigung und Ermordung einer 23-jährigen Frau im Jahre 2012 gehängt. Diese Hinrichtungen markieren eine ernüchternde Entwicklung bei der Anwendung der Todesstrafe in Indien. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die Todesstrafe eine besonders abschreckende Wirkung hat, und sie wird die Gewalt gegen Frauen in Indien nicht abschaffen, wie Amnesty International in Indien heute sagte.

„Seit August 2015 hatte Indien niemanden mehr hingerichtet und es ist bedauerlich, dass heute vier Männer durch den Strang getötet wurden – mit der Überzeugung, damit die Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen. Allzu oft hebt der Gesetzgeber in Indien die Todesstrafe als Symbol seiner Entschlossenheit, Kriminalität zu beseitigen, hervor. Was stattdessen tatsächlich benötigt wird, sind effektive und langfristige Lösungen wie Präventions- und Schutzmechanismen, um geschlechtsspezifische Gewalt zu reduzieren, die Ermittlungen und die Strafverfolgung zu verbessern und Opferfamilien zu unterstützen. Tiefgreifende verfahrensrechtliche und institutionelle Reformen sind das Gebot der Stunde“, sagt Avinash Kumar, Geschäftsführer von Amnesty Indien.

„Die Todesstrafe ist niemals die Lösung und die heutige Wiederaufnahme der Hinrichtungen ist ein neuerlicher Schandfleck in Indiens Menschenrechtsbilanz. Die Gerichte Indiens haben wiederholt festgestellt, dass sie willkürlich und uneinheitlich angewendet wird. Sogar das „Justice Verma Committee“, auf dessen Empfehlungen man sich bei der Reformierung der Gesetzgebung zu sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen im Nachgang des Falls „Nirbhaya“ bezogen hatte, hatte sich gegen die Todesstrafe bei Vergewaltigungen ausgesprochen. Indien ist eines der wenigen Länder, das die Todesstrafe weiterhin anwendet. 142 Länder, mehr als zwei Drittel der Länder weltweit, haben die Todesstrafe in Gesetz oder Praxis abgeschafft“, sagte Avinash Kumar.

Der sogenannte „2012 Delhi gang rape“ Fall umfasste eine Vergewaltigung und einen tödlichen Übergriff, der am 16. Dezember 2012 in Neu Delhi stattfand. Das Mordopfer war eine 23-jährige Frau, die geschlagen, von mehreren Männern vergewaltigt und in einem privaten Bus gequält wurde, in welchem sie mit einem Freund unterwegs war.

Der Vorfall rief national und international ein großes Medienecho hervor. Da das indische Gesetz der Presse nicht erlaubt, den Namen eines Vergewaltigungsopfers zu veröffentlichen, wurde die Frau überall als „Nirbhaya“ bekannt. Als Reaktion auf weitverbreitete öffentliche Rufe nach einem besseren Schutz von Frauen, wurde im Dezember 2012 ein Rechtsausschuss gebildet, um zu untersuchen und öffentliche Vorschläge zu sammeln, wie Gesetze geändert werden sollten, um schnellere Aufklärung und Strafverfolgung bei Personen voranzutreiben, die eines Sexualverbrechens verdächtigt werden. Nach der Berücksichtigung von etwa 80.000 Vorschlägen legte das Komitee einen Bericht vor, der aufzeigt, dass Fehler und Versäumnisse der Regierung sowie der Polizei die grundlegende Ursache für die Gewalt an Frauen sei. Der Bericht enthält außerdem Empfehlungen zu einer Reihe von Aspekten, die sich auf die Sicherheit von Frauen und auf die Geschlechterdiskriminierung auswirken – von Gesetzen zu Gewalt gegen Frauen, zu sexuellem Kindesmissbrauch und sogenannten „Ehrenmorden“, über Grundsätze zur Verhängung von Strafen, der Schaffung adäquater Sicherheitsmaßnahmen für Frauen, bis hin zu Polizei- und Wahlreformen. Der Bericht lehnt die Todesstrafe als Strafmaß für Vergewaltigungen ab.

„Wir appellieren an die indische Regierung, umgehend ein Hinrichtungsmoratorium zu etablieren und alle Todesurteile umzuwandeln, als erste entscheidende Schritte in Richtung Abschaffung dieser äußersten, grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Strafe“, sagte Avinash Kumar.

Amnesty International wendet sich in ausnahmslos jedem Fall gegen die Todesstrafe, unabhängig von der Art und den Umständen des Verbrechens, der Schuld, Unschuld oder anderen Eigenschaften der Person oder der Methode, derer sich ein Staat bedient, um Hinrichtungen durchzuführen.

 

Übersetzung der Koordinationsgruppe gegen die Todesstrafe. Der Original-Artikel in englischer Sprache findet sich hier.