Vor 70 Jahren: In Westdeutschland wird das letzte Todesurteil eines zivilen Gerichts vollstreckt

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In diesen Tagen jährt sich ein denkwürdiges Ereignis: Vor 70 Jahren wurde das letzte zivile Todesurteil in Westdeutschland vollzogen. Genau genommen war es am 18. Februar 1949. Es traf den 28-jährigen Richard Schuh aus Tübingen. Tübingen war damals die Hauptstadt des Landes Württemberg-Hohenzollern, das nach dem Zweiten Weltkrieg in der französischen Besatzungszone entstanden war. Richard Schuh war gelernter Mechaniker, hatte am Zweiten Weltkrieg teilgenommen und war gerade aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft freigekommen. Nach seiner Entlassung schlug er sich mit Gelegenheitsarbeiten durch. Am 28. Januar 1948 tötete er bei Herrenberg einen Lkw-Fahrer, um an die neuen Reifen von dessen Fahrzeug zu gelangen. Die Reifen verkaufte Schuh auf dem Schwarzmarkt.

Richard Schuhs Tat blieb nicht lange unentdeckt. Er wurde verhaftet und am 14. Mai 1948 vom Tübinger Landgericht wegen Raubmordes zum Tode verurteilt. Er legte Berufung ein, Gnadengesuche wurden gestellt, letztlich vergebens. Es hätte in der Macht des Staatspräsidenten von Württemberg-Hohenzollern, Gebhard Müller, gelegen, sein Todesurteil in eine lebenslange Haftstrafe umzuwandeln, doch Präsident Müller war ein Befürworter der Todesstrafe.

Richard Schuh wurde am 18. Februar 1949 gegen sechs Uhr morgens im Innenhof des Tübinger Gefängnisses mit einer eilends herbeigeschafften Guillotine hingerichtet. Das Fallbeil ist noch heute im Strafvollzugsmuseum Ludwigsburg ausgestellt. Schuhs Todesurteil wurde zu einer Zeit verhängt und vollstreckt, als intensiv über die Todesstrafe in Westdeutschland diskutiert wurde. Der seit September 1948 in Bonn tagende Parlamentarische Rat, der nach der Niederschlagung der nationalsozialistischen Diktatur einen politischen Neuanfang für Deutschland einleiten sollte, sprach sich bei der Vorbereitung des Grundgesetzes für die Abschaffung der Todesstrafe aus. Carlo Schmid, sozialdemokratischer Politiker, Justizminister in Württemberg-Hohenzollern und Mitglied des Parlamentarischen Rates, hatte noch am 10. Februar 1949, also eine Woche vor der Hinrichtung Richard Schuhs dazu geraten, „Man sollte mit dem Töten von Amts wegen ein Ende machen“.

Mit Inkrafttreten des Grundgesetzes am 24. Mai 1949 wurde die Todesstrafe schließlich in der alten Bundesrepublik Deutschland für alle Straftaten gestrichen. Artikel 102 lautet: „Die Todesstrafe ist abgeschafft.“ Bis zu ihrem Verbot hatten deutsche Gerichte nach Ende des Zweiten Weltkrieges in den drei Westzonen außer Berlin noch 34 Todesurteile gefällt, von denen 15 vollstreckt wurden. In West-Berlin, das bis zur deutschen Wiedervereinigung 1990 nur eingeschränkt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes gehörte, wurde die Todesstrafe im Januar 1951 durch den Senat außer Kraft gesetzt. In den Berliner Westsektoren vollzog man das letzte Todesurteil am 11. Mai 1949, und zwar in der Untersuchungshaftanstalt Moabit mit der Guillotine an einem 24 jährigen Raubmörder.

Auch nach Inkrafttreten des Grundgesetzes vollstreckten die amerikanischen Streitkräfte im Militärgefängnis in Landsberg am Lech noch am 7. Juni 1951 sieben Todesurteile an deutschen Kriegsverbrechern durch den Strang. In der Deutschen Demokratischen Republik blieb die Todesstrafe noch Jahrzehnte in Kraft. Dort wurde die mutmaßlich letzte Hinrichtung am 26. Juni 1981 an einem Hauptmann des Ministeriums für Staatssicherheit wegen Spionage und versuchter Fahnenflucht vollzogen. Die DDR schaffte 1987 die Todesstrafe ab.

Amnesty International, Koordinationsgruppe gegen die Todesstrafe, 18. Februar 2019

26. Dezember 2019