An einem einzigen Tag, dem 18. Februar 2016, wurden 40 Todesurteile in Irak verhängt. Dies ist eine rücksichtslose Missachtung von Gerechtigkeit und des Respekts vor menschlichem Leben, kommentiert Amnesty International. Die Organisation beziffert die Gesamtzahl der Todesurteile in diesem Jahr bereits auf nahezu 100.
Irakische Gerichte haben seit dem 1. Januar 2016 mindestens 52 Todesstrafen ausgesprochen. Als das Urteil nach einem vielbeachteten Anti-Terror-Prozess in Bagdad jetzt verkündet wurde, kamen weitere 40 hinzu. „Dass irakische Gerichte 92 Todesurteile in nur sechs Wochen fällten, ist ein düsterer Hinweis auf den aktuellen Zustand der Justiz in diesem Land“, sagt James Lynch, stellvertretender Direktor für die Region Naher Osten und Nordafrika bei Amnesty International.
„Die deutliche Mehrheit dieser Verfahren war grob unfair, da viele der Angeklagten angegeben hatten, gefoltert worden zu sein, um die Verbrechen zu „gestehen“. Diese Vorwürfe müssen dringend untersucht werden und ein Wiederaufnahmeverfahren, das den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren entspricht, sollte angeordnet werden.“
In dem Massenprozess ging es um 47 Personen, die angeklagt waren, an dem sogenannten Speicher-Massaker beteiligt gewesen zu sein. Dabei waren im Juni 2014 mindestens 1.700 Militärkadetten des Militärcamps Speicher bei Tikrit brutal von Kämpfern des selbsternannten Islamischen Staates (IS) getötet worden. Iraks oberste Justizbehörde bestätigte, dass 40 Personen unter dem Anti-Terror-Gesetz von 2005 zum Tode verurteilt und sieben aus Mangel an Beweisen freigelassen wurden.
Mehr als 600 Haftbefehle sind von den irakischen Behörden in Zusammenhang mit dem Speicher-Massaker erlassen worden. Das zentrale Strafgericht (Central Criminal Court of Iraq – CCCI) kündigte an, alle Fälle mit Bezug auf die Verbrechen von Speicher in einem Strafverfahren miteinander zu verbinden, was die Tür zu Massenprozessen öffnet.
Bereits im Juli 2014 waren 24 Männer wegen des Massakers nach dem Anti-Terror-Gesetz zum Tod durch Erhängen verurteilt worden.
„Diese massenhaften und beschleunigten Verfahren lassen ernsthafte Fragen aufkommen, ob die irakischen Behörden wirklich die Wahrheit hinter diesen abscheulichen Angriffen aufdecken wollen, oder ob sie einfach nur den Anschein erwecken wollen, dass Gerechtigkeit getan ist. Wieder einmal sehen wir, dass grundlegende Menschenrechte mit Füßen getreten werden, indem die Behörden faire Gerichtsverfahren im Namen der nationalen Sicherheit umgehen“, sagt James Lynch.
Amnesty International appelliert an die irakischen Behörden, die Bestätigung von Todesurteilen zu stoppen und sofort ein offizielles Hinrichtungsmoratorium zu verhängen mit dem Ziel, die Todesstrafe abzuschaffen.
Amnesty International, Koordinationsgruppe gegen die Todesstrafe, 20. Februar 2016