Am 16. April 2015 entschied der Oberste Gerichtshof Pakistans, dass von Militärgerichten gegen Zivilisten verhängte Todesurteile auszusetzen sind. Eine Verfassungsänderung im Januar 2015 war mit dem Ziel verabschiedet worden, die Verfolgung von terroristischen Straftaten zu beschleunigen, indem sie von zivilen auf militärische Gerichte übertragen wird. Aufgrund des Urteils dürfen Militärgerichte nun nicht mehr in Terrorfällen, die zu Todesurteilen führen können, verhandeln, bis der Oberste Gerichtshof eine endgültige Entscheidung über die Rechtmäßigkeit dieser Militärtribunale trifft.
Diese juristischen Auseinandersetzungen stehen im Zusammenhang mit dem Angriff von Taliban-Kämpfern am 16. Dezember 2014 auf eine Schule in Peschawar. Als Reaktion auf das blutige Schulmassaker beendete die Regierung mit sofortiger Wirkung einen Hinrichtungsstopp. Seit Ende 2008 war kein zivilgerichtliches Todesurteil mehr in Pakistan vollstreckt worden. Drei Tage nach dem Attentat wurden zunächst wieder Todesurteile wegen terroristischer Straftaten vollzogen, inzwischen auch solche, die wegen Mordes gefällt wurden. Insgesamt sind nach Beendigung des Moratoriums bereits mindestens 76 Menschen hingerichtet worden. Es gibt mehr als 8.000 Gefangene in den Todeszellen Pakistans.
Amnesty International begrüßt die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, die die Rechtmäßigkeit des neuen Systems von Militärtribunalen in Zweifel zieht. „Das Urteil ist ein Schritt in die richtige Richtung und deutet darauf hin, dass etwas komplett falsch läuft wie die Regierung mit unerbittlichem Tempo seit Dezember Todestraktinsassen hinrichtet“, sagte David Griffiths, bei Amnesty für die Region Asien-Pazifik zuständiger Direktor. „Es gibt im pakistanischen Justizsystem ernsthafte Mängel auf allen Ebenen. Folter wird häufig angewendet, um „Geständnisse“ zu erlangen und Angeklagte haben oft keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand.“
„Der Einsatz von Militärgerichten in Kapitalstrafsachen ist besonders beunruhigend, da Rechte verletzt werden könnten in dem Bestreben, Angeklagte möglichst rasch eines Terrordelikts zu überführen“, so David Griffiths. „Zivile Fälle sollten unter keinen Umständen vor Militärgerichten verhandelt werden. Es gibt keine Entschuldigung dafür, wenn im Namen der nationalen Sicherheit Abstriche am Recht auf ein faires Verfahren gemacht werden.“
„Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs ist auch eine Gelegenheit für die pakistanischen Behörden, den Kurs in Sachen Todesstrafe zu ändern. Eine bloße Aufhebung von Todesurteilen, die Militärgerichte verhängt haben, ist nicht genug. Tausende von Menschenleben sind in Gefahr, solange die Regierung nicht wieder ein Moratorium für alle Hinrichtungen in Kraft setzt, und zwar im Hinblick auf die vollständige Abschaffung der Todesstrafe“, sagte David Griffiths.
Amnesty International, Koordinationsgruppe gegen die Todesstrafe, 20. April 2015