Die taiwanesischen Behörden haben am Freitag, 19. April, in den Abendstunden erneut sechs Männer hinrichten lassen. Damit vollzogen die Verantwortlichen einen grausamen Sinneswandel weg von ihrer früheren Zusicherung, diese brutale Praxis einzustellen.
Diese jüngsten Hinrichtungen folgen sechs anderen Exekutionen, die erst vor wenigen Monaten im Dezember 2012 stattfanden. „Ein Dutzend Hinrichtungen in Taiwan in weniger als sechs Monaten wirft ernste Fragen hinsichtlich der Zusicherung der Behörden auf, die Todesstrafe abschaffen zu wollen“, sagt Catherine Baber, bei Amnesty International als Direktorin für die Region Asien-Pazifik zuständig. „Präsident Ma Ying-jeou sollte unverzüglich ein Moratorium für die Anwendung der Todesstrafe erlassen und eine nationale Debatte über ihre Abschaffung in der Zukunft anstoßen.“
Auf Einladung der Regierung hatten internationale Experten erst im Februar 2013 Taiwans Menschenrechts-Politik geprüft. In ihrem am 1. März 2013 in Taipei vorgestellten Bericht übten sie vor allem Kritik an der Todesstrafe. Die unabhängigen Experten rieten der Regierung Taiwans dringend, weitere Schritte in Richtung Abschaffung der Todesstrafe zu unternehmen, und von sofort an keine Todesurteile mehr zu vollstrecken. Die taiwanesische Regierung antwortete, dass es für Taiwan „schwierig“ sei, die Todesstrafe zu diesem Zeitpunkt zu beenden, aber dass sie einen besonderen Ausschuss eingerichtet habe, der die verschiedenen Möglichkeiten für eine schrittweise Abschaffung der Todesstrafe prüfen solle.
Der aktuelle Bericht von Amnesty über Todesurteile und Hinrichtungen im Jahr 2012 führt Taiwan als eines von nur acht Ländern in der Region Asien-Pazifik an, die Gefangene im vergangenen Jahr hingerichtet haben. Derzeit warten in Taiwan nach Ausschöpfung aller Rechtsmittel etwa 50 Menschen auf die Vollstreckung ihres Todesurteils. Familienangehörige werden in der Regel nicht über geplante Hinrichtungen im Voraus informiert. Sie erfahren vom Vollzug der Todesstrafe erst, wenn sie aufgefordert werden, den Körper ihres Angehörigen aus der Leichenhalle abzuholen. Anlass zur Kritik geben auch die Gerichtsverfahren, die bisweilen internationalen Standards für einen fairen Prozess nicht entsprochen haben. So gründeten Todesurteile in einigen Fällen möglicherweise auf „Geständnissen“, die unter Folter erzwungen worden waren.
Amnesty International, Koordinationsgruppe gegen die Todesstrafe, 23. April 2013