Saudi-Arabien: Erst lebenslang, dann Hinrichtung

„In Saudi-Arabien wird die Todesstrafe für viele Vergehen verhängt und vollstreckt. Gerichtsverfahren entsprechen bei Weitem nicht den internationalen Standards für ein faires Gerichtsverfahren.“ So lautet ein Kritikpunkt, den Amnesty International seit Jahren an die Adresse der Golfmonarchie richtet. Erst jüngst wurde wieder ein Fall bekannt, der ein Schlaglicht wirft auf die großen Defizite Saudi-Arabiens im Umgang mit der Todesstrafe.

Am 5. Februar 2013 wurde Abdullah Fandi al-Shammari in der Stadt Ha’il im Norden Saudi-Arabiens wegen eines Mordes enthauptet, den er 1981 oder 1982 begangen haben soll. Bis zu seiner Hinrichtung hatte er 30 Jahre im Gefängnis verbracht.

Abdullah Fandi al-Shammari war im Jahr 1988 von einem Gericht der ersten Instanz in Ha’il des Totschlags schuldig gesprochen worden. Das Gericht befand, dass er nicht beabsichtigt hatte, das Opfer zu töten, und ordnete an, dass der Verurteilte der Familie des Opfers ein „Blutgeld“ (diya) zahlen sollte. Diese Gerichtsentscheidung wurde 1989 im Berufungsverfahren bestätigt, und Abdullah Fandi al-Shammari kam später auf freien Fuß.

Im Jahr 1990 verwies der Oberste Justizrat, damals die höchste Berufungsinstanz, den Fall zurück an das erstinstanzliche Gericht und ordnete eine Neuverhandlung an. Abdullah Fandi al-Shammari wurde 1992 erneut festgenommen, wegen desselben Verbrechens vor Gericht gestellt und diesmal zum Tode verurteilt. Anhörung und Urteilsfindung erfolgten an einem einzigen Verhandlungstag. Abdullah Fandi al-Shammari hatte weder Zugang zu den Gerichtsakten noch zu einem rechtlichen Beistand. Zudem konnte er bis nach der Bestätigung des Urteils durch das Berufungsgericht keine Rechtsmittel einlegen.

Nach den Gerichtsakten im Fall Abdullah Fandi al-Shammari legte die Anklagebehörde im zweiten Gerichtsverfahren die Fakten anders dar als im ersten. So wurde dem Angeklagten im zweiten Verfahren zur Last gelegt, beim Angriff auf das Opfer eine Eisenstange benutzt zu haben, während es im ersten Verfahren ein Holzstock gewesen sein soll.

Die Exekution von Abdullah Fandi al-Shammari war mehrere Male angesetzt worden, bevor die saudischen Behörden einen Hinrichtungsaufschub anordneten, um Verhandlungen mit der Familie des Opfers zu ermöglichen. In Saudi-Arabien dürfen die engsten Familienangehörigen eines Mordopfers entscheiden, ob sie die Hinrichtung verlangen, „Blutgeld“ fordern oder eine bedingte oder bedingungslose Begnadigung aussprechen.

Im Jahr 2012 wurden insgesamt mindestens 79 Menschen hingerichtet. In den ersten sechs Wochen dieses Jahres sind bereits zehn Todesurteile vollstreckt worden.

Amnesty International, Koordinationsgruppe gegen die Todesstrafe, 09. Februar 2013