Am 21. November 2012 ließ die indische Regierung den Pakistani Ajmal Kasab hinrichten. Er war wegen seiner Beteiligung an den 2008 in Mumbai verübten Anschlägen zum Tode verurteilt worden. Mit dieser Exekution machte Indien bedauerlicherweise einen großen Teil des Fortschritts wieder zunichte, den das Land auf dem Weg zur Abschaffung der Todesstrafe erzielt hatte. Immerhin hatten bis dahin mehr als acht Jahre lang keinerlei Hinrichtungen mehr stattgefunden. Die Wiederaufnahme von Vollstreckungen bedeutet zudem, dass sich Indien gegen den regionalen wie weltweiten Trend zur Überwindung der odesstrafe stellt.
Am 9. Februar 2013 fand erneut eine Hinrichtung statt. Von Geheimhaltung umgeben wurde Mohammad Afzal Guru gegen 8.00 Uhr im Tihar Gefängnis in Neu Delhi durch den Strang exekutiert. „Wir verurteilen die Hinrichtung aufs Schärfste“, sagte Shashikumar Velath, Direktor bei Amnesty International in Indien.
Mohammad Afzal Guru wurde wegen seiner Beteiligung an dem Terroranschlag auf das indische Parlament im Dezember 2001 zum Tode verurteilt. Bei dem Angriff kamen sieben Mitglieder der Sicherheitskräfte sowie fünf Attentäter ums Leben. Gurus Verfahren fand gemäß dem Antiterrorgesetz vor einem Sondergericht statt. Amnesty International ist der Ansicht, dass solche Verfahren den internationalen Menschenrechtsnormen nicht entsprechen. Mohammad Afzal Guru war während seines Prozesses nur unzureichend anwaltlich vertreten. Sein Todesurteil wurde vom Obersten Gerichtshof im August 2005 bestätigt. Präsident Pranab Mukherjee lehnte Berichten zufolge sein Gnadengesuch am 3. Februar 2013 ab.
Amnesty-Direktor Shashikumar Velath erinnerte daran, dass „anders als bei der Hinrichtung von Ajmal Kasab und Mohammad Afzal Guru die indischen Behörden die Öffentlichkeit in der Vergangenheit stets über das Ablehnen von Gnadengesuchen und geplante Hinrichtungstermine in Kenntnis gesetzt haben. Die neue Praxis, Hinrichtungen geheim durchzuführen, ist daher sehr beunruhigend.“ In der vom Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen verabschiedeten Resolution 2005/59 werden Staaten, die noch die Todesstrafe verhängen, aufgefordert, „die Öffentlichkeit über die Verhängung der Todesstrafe und alle festgelegten Hinrichtungstermine zu informieren“.
Die Ablehnung des Gnadengesuchs von Mohammad Afzal Guru lässt nun befürchten, dass bald schon weitere Hinrichtungen in Indien vollzogen werden könnten. Am 14. Februar 2013 erfuhr Amnesty beispielsweise, dass erneut vier Gnadengesuche abgewiesen wurden. Betroffen davon sind vier Männer, die wegen ihrer Beteiligung 1993 an einem Landminen-Anschlag zum Tode verurteilt worden waren. In den letzten Monaten nahm vor dem Hintergrund eines entsetzlichen Verbrechens auch der Druck auf die indische Regierung zu, Sexualstraftäter zukünftig in Schnellgerichten zum Tode verurteilen zu können.
Indien gehört zu einer Minderheit von Ländern, die die Todesstrafe weiterhin anwenden. Schätzungsweise sind dort derzeit mehre hundert Menschen vom Vollzug der Todesstrafe bedroht. Insgesamt haben sich 140 Staaten, das sind über zwei Drittel aller Länder der Welt, in Gesetz oder Praxis gegen die Todesstrafe entschieden. Im Jahr 2011 wurden in nur 21 Staaten Hinrichtungen vollzogen, d. h. in weniger als 10 Prozent der Welt.
Amnesty International, Koordinationsgruppe gegen die Todesstrafe, 14. Februar 2013