Gambia: Ein Land wird rückfällig

Der Präsident des westafrikanischen Staats Gambia, Yahya Jammeh, kündigte in Fernsehansprachen am 19. und 20. August anlässlich des muslimischen Fest des Fastenbrechens an, dass alle zum Tode verurteilten Menschen bis Mitte September hingerichtet werden. Der Präsident sagte in seiner Rede an die Nation, dies sei notwendig, um “sicherzustellen, dass Kriminelle das bekommen, was sie verdienen”. Über einen 27 Jahre währenden Zeitraum hinweg waren in Gambia keine Todesurteile mehr vollstreckt worden.

„Präsident Jammehs Anmerkungen sind zutiefst beunruhigend und werden zweifellos unter den zum Tode Verurteilten und ihren Familien Angst und Schrecken verbreiten“, sagte Audrey Gaughran, bei Amnesty International für Afrika zuständige Direktorin. „Jeder Versuch, diese Drohung wahrzumachen, wäre ebenso schockierend wie ein schwerer Rückschlag für die Menschenrechte in Gambia. Die Erklärung des Präsidenten steht in klarem Gegensatz zu dem Trend, sowohl in Westafrika als auch weltweit, die Anwendung der Todesstrafe zu beenden.“ Frau Gaughran rief den Präsidenten dazu auf, seine Ankündigung zurückzuziehen und das selbstauferlegte Hinrichtungsmoratorium beizubehalten. Vergebens, denn ungeachtet ihres dringenden Appells erhielt Amnesty Berichte, wonach in der Nacht zu Freitag, 24. August, neun Gefangene im Geheimen hingerichtet wurden. Unter den Exekutierten sollen sich eine Frau und zwei Staatsbürger Senegals befunden haben. Die Todesurteile wurden von einem Erschießungskommando in einem Gefängnis nahe der Hauptstadt Banjul vollstreckt, ohne die Gefangenen, deren Familien oder Rechtsanwälte vorab zu informieren.

Dies ist nicht das erste Mal, dass Präsident Jammeh eine solche Drohung ausgesprochen hat. Im September 2009 teilte er mit, Hinrichtungen würden wieder aufgenommen, um der steigenden Kriminalität im Land zu begegnen. Im Oktober desselben Jahres wurde der Leiter der Staatsanwaltschaft mit den Worten zitiert, alle zum Tode verurteilten Gefangenen würden so schnell wie möglich durch Erhängen exekutiert. Der jüngste Vorstoß zur Wiederanwendung der Todesstrafe steht im Zusammenhang mit einer im Mai 2012 begonnen Kampagne, die der Präsident als “Operation Bulldozer” bezeichnet und die darauf abzielt, “das Land von allen Verbrechern zu befreien”.

Nach Angaben der gambischen Regierung befinden sich gegenwärtig 37 Männer und eine Frau unter harten Haftbedingungen im Todestrakt, von denen 13 im Jahr 2011 und drei im Jahr 2012 verurteilt worden sind. In Gambia kann die Todesstrafe für Mord und Hochverrat verhängt werden. Audrey Gaughran kritisiert, dass das Land dafür bekannt sei, Todesurteile als Werkzeug gegen die politische Opposition einzusetzen und internationale Standards für faire Gerichtsverfahren nicht einzuhalten. „Die Zahl der grob unfairen Prozesse ist schockierend und ein besonders ernstes Problem in Fällen, in denen die Todesstrafe ausgesprochen wird“, unterstrich Frau Gaughran.

Kein westafrikanisches Land hat in den letzten Jahren Gefangene hingerichtet. Gambia ist nun eine unrühmliche Ausnahme. In den vergangenen fünf Jahren haben der westafrikanische Staat Togo ebenso wie Burundi, Gabun und Ruanda die Todesstrafe für alle Verbrechen abgeschafft. 37 der 54 Mitgliedsstaaten der Afrikanischen Union richten keine Gefangenen mehr hin.

Die Hinrichtungen und die Ankündigung des gambischen Präsidenten, in den nächsten Wochen alle Todeskandidaten exekutieren zu lassen, lösten einen internationalen Aufschrei der Empörung aus. Amnesty International wie auch die Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Navi Pillay, riefen den Präsidenten und die Behörden in Gambia dringend dazu auf, von der Vollstreckung weiterer Todesurteile abzusehen und unverzüglich einen offiziellen Hinrichtungsstopp zu verfügen. In einer gemeinsamen Erklärung vom 5. September unterstrichen 67 internationale Menschenrechtsorganisationen sowie westafrikanische zivilgesellschaftliche Gruppen diese Forderung. Auch die Afrikanische Kommission für Menschenrechte und Rechte der Völker, die Afrikanische Union, die Europäische Union, das Commonwealth, die Vereinten Nationen sowie die Regierungen von Benin, Nigeria und Senegal verurteilten dieses Vorgehen.

Die weltweiten Proteste zeigen offenbar Wirkung:  In einer im Fernsehen am 14. September verlesenen Erklärung heißt es, der Präsident sei von seinem Vorhaben abgerückt, alle zum Tode verurteilten Gefangenen in Gambia umgehend hinrichten zu lassen. Bis auf Weiteres sollen keine Todesstrafen mehr vollstreckt werden. Der Präsident knüpfte das Fortbestehen dieses neuerlichen Hinrichtungsmoratoriums allerdings an die Bedingung, dass die Zahl der Gewaltverbrechen im Land sinkt.

MEHR DAZU
Die Protesterklärung von Amnesty und 66 weiterer Organisationen gegen die Wiederaufnahme von Hinrichtungen in Gambia können Sie [hier] nachlesen.

Amnesty International, Koordinationsgruppe gegen die Todesstrafe, 17. September 2012