William Henry Furman hatte vor einiger Zeit seine Arbeit verloren. Der 26-Jährige hielt sich mit Gelegenheitsjobs mehr schlecht als recht über Wasser. Sein geistiger Gesundheitszustand verschlechterte sich zunehmend. Irgendwann begann er, in seiner Heimatstadt Savannah im US-Bundesstaat Georgia Eigentumsdelikte zu begehen. Im August 1967 brach er in das Haus einer siebenköpfigen Familie ein. Bei dem Einbruch wachten die Eltern durch die Geräusche im Haus auf und dachten, dass ihr elfjähriger Sohn schlafwandeln würde. Der Vater ging nach unten, um ihn wieder ins Bett zu bringen. Furman wollte weglaufen und fiel dabei aber über das Kabel der Waschmaschine. Dabei löste sich ein Schuss, der den Vater durch eine geschlossene Tür hindurch in die Brust traf. Für diese Tat verurteilte der Bundesstaat Georgia William Henry Furman zum Tode.
Furmans Anwälte fochten das Todesurteil an. Das Oberste Gericht der USA, der Supreme Court, hob das Urteil schließlich am 29. Juli 1972 auf. Die Entscheidung fiel mit fünf zu vier Stimmen denkbar knapp aus. Zwei Richter waren der Auffassung, die Todesstrafe widerspreche dem achten Verfassungszusatz und sei eine grausame und ungewöhnliche Strafe, weil es keine rationalen Standards gab, nach denen die Todesstrafe verhängt wurde oder nicht. Zwei weitere Richter äußerten, der Weg zu einem Todesurteil sei willkürlich und daher nicht verfassungskonform. Der achte Zusatz zur Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika, auf den sich die Richter in ihrer Urteilsbegründung bezogen, stammt aus dem Jahr 1791 und besagt unter anderem, dass Gerichte keine „grausamen und ungewöhnlichen“ Strafen verhängen dürfen. Genau an diesem Punkt erkannte einer der Richter einen großen Mangel: „Solche Todesurteile sind auf die gleiche Art grausam und ungewöhnlich wie es grausam und ungewöhnlich ist, vom Blitz getroffen zu werden.“
Die höchstrichterliche Entscheidung vor 40 Jahren hatte nicht nur Konsequenzen für das Schicksal des Raubmörders Furmann, sondern ging weit darüber hinaus: Der Oberste Gerichtshof erklärte im Verfahren Furman gegen Georgia alle in den Bundesstaaten der USA bestehenden Todesstrafengesetze (40 an der Zahl) für verfassungswidrig, weil sie nach Auffassung des Gerichts in „willkürlicher und unberechenbarer“ Art und Weise angewandt worden waren und mithin den achten Zusatz zur Verfassung verletzten. Die Entscheidung erklärte ferner 629 Todesurteile, die zu diesem Zeitpunkt rechtskräftig waren, für nichtig. Sie mussten in lebenslange Freiheitsstrafen umgewandelt werden. Schon die Ankündigung des Supreme Courts, über die Verfassungsmäßigkeit der Todesstrafe befinden zu wollen, hatte seit 1967 zu einem landesweiten Hinrichtungsstopp geführt.
So richtungweisend das Urteil im Fall von Furman in der Rückschau auch war, es hatte einen entscheidenden Schönheitsfehler: Es war keine Entscheidung gegen die Todesstrafe an sich, sondern richtete sich nur gegen die herrschende Praxis in den USA. Zwar blieb die Todesstrafe landesweit weiterhin außer Vollzug, allerdings begannen mehrere Bundesstaaten damit, ihre Gesetze zum „Capital Punishment“ zu überarbeiten. Ziel war es, neue rechtliche Regelungen zu erlassen, die die Willkür bei der Urteilsfindung unterbinden und die geforderten rationalen Standards bei der Verhängung der Todesstrafe schaffen sollten. Offiziell abgesegnete Richtlinien gab es dafür nicht, so dass jeder Bundesstaat eigene Anforderungen formulieren konnte.
Am 2. Juli 1976 befand der Supreme Court in dem Verfahren Gregg gegen Georgia die neu erlassenen Todesstrafengesetze für verfassungsgemäß. Das Urteil fiel mit einem Sieben-zu-Zwei-Votum. Die Richter zeigten sich mehrheitlich davon überzeugt, dass mit den neuen Gesetzen ein Verfahren „kontrollierter Ermessensentscheidungen“ in Todesstrafenprozessen geschaffen worden sei. Nur zwei der Richter blieben dabei, dass Hinrichten unter allen Umständen „außergewöhnlich grausam“ sei. Laut Mehrheitsmeinung verstößt die Todesstrafe nicht gegen die „Vorstellungen von Anstand, die den Fortschritt einer reifenden Gesellschaft kennzeichnen“.
Mit der Entscheidung Gregg gegen Georgia, die die Todesstrafe für Mord in den USA wieder zuließ, endete der bis dahin eingehaltene fast zehnjährige Hinrichtungsstopp. Die Hoffnung, die USA könnten sich dem weltweiten Trend gegen die Todesstrafe anschließen, war zerstoben. Seither sind 1.300 Menschen exekutiert worden. Landesweit warten rund 3.200 Gefangene auf den Vollzug ihres Todesurteils. 33 von 50 Bundesstaaten sehen derzeit die Todesstrafe noch in ihren Gesetzen vor. Die Bundesstaaten Illinois, New Jersey, New Mexico, New York und Connecticut haben die Todesstrafe in jüngster Zeit abgeschafft, in Oregon trat ein offizielles Hinrichtungsmoratorium in Kraft. Die Zahl der jährlich verhängten Todesurteile hat gegenüber ihrem Höchststand in den 1990er Jahren um drei Viertel abgenommen. Meinungsumfragen zeigen zudem, dass die öffentliche und politische Unterstützung dieser Strafe schwindet. Vor allem die Sorge, dass Unschuldige hingerichtet werden könnten, wirkt sich dämpfend auf Gerichte und Geschworene aus. Auch ethische Bedenken und die Besorgnis über die hohen Kosten der Todesstrafe sind Gründe dafür, dass sich die Todesstrafe in den USA auf dem Rückzug befindet.
Richter Harry A. Blackmun war Teil des Gerichtes, das die historische Entscheidung im Fall Furman traf. Gut 20 Jahre später zog er die ernüchternde Bilanz: „Ich fühle mich moralisch und mit meinem intellektuellen Bewusstsein verpflichtet, das Todesstrafenexperiment als gescheitert zu bezeichnen.“
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Amnesty International, Koordinationsgruppe gegen die Todesstrafe, 29. Juni 2012