Dass die Mühlen der Justiz gelegentlich langsam mahlen, ist sprichwörtlich bekannt. Dass es aber in dem am längsten laufenden Strafverfahren Taiwans sage und schreibe 23 Jahre gedauert hat, um ein abschließendes Urteil zu fällen, kann nur als skandalös bezeichnet werden.
Am 28. Juli 2011 verwarf der Oberste Gerichtshof das letzte Rechtsmittel von Chiou Ho-shun, einem Gefangenen, der bereits seit 23 Jahren in der Todeszelle sitzt. Der Mann war im Jahr 1989 zum Tode verurteilt worden. Ihm wurden zwei getrennte Verbrechen vorgeworfen, Entführung und Mord, die er 1987 begannen haben soll. Elf Mitangeklagte erhielten Haftstrafen. Elf Mal war der Fall von Chiou Ho-shun zur Prüfung zwischen dem Oberen Gericht und dem Obersten Gerichtshof hin und her geschoben worden. Am 25. August 2011 hat die Generalstaatsanwaltschaft einen auf besondere Umstände gestützten Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Chiou Ho-Shun abgelehnt. Er schwebt nun in akuter Gefahr, hingerichtet zu werden.
Chiou Ho-Shun und seine Mitangeklagten geben an, sie seien in den ersten vier Monaten ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten und während dieser Zeit gefoltert worden, um von ihnen Geständnisse zu erpressen. Später zogen sie ihre Geständnisse zurück.
Nach einer offiziellen Untersuchung im Jahre 1994 wurden zwei Staatsanwälte und zehn Polizeibeamte verurteilt, weil sie bei der Aufklärung des Herrn Chiou zur Last gelegten Entführungsfalls Geständnisse durch Folter erzwungen hatten. Im Jahr 2003 räumte die Polizei überdies ein, sie habe die Tatsache für sich behalten, dass ein anderer Todestraktinsasse kurz vor seiner Hinrichtung den Mord gestanden hatte, für den Herr Chiou die Todesstrafe erhielt. Seine Mitangeklagten befinden sich mit Ausnahme eines in der Haft verstorbenen Mannes inzwischen wieder in Freiheit.
Amnesty International ruft die taiwanesischen Behörden auf, die Hinrichtung von Chiou Ho-shun sofort zu stoppen. Obwohl Chiou Ho-Shun sein Geständnis unter Folter abgelegt hat, haben die Gerichte es als Beweismittel zugelassen. Der Aussage des anderen Todestraktinsassen, der sich für den Mord verantwortlich erklärt hatte, sind sie nicht nachgegangen. Sam Zarifi, Direktor von Amnesty International für die Region Asien-Pazifik, fordert eine Wiederaufnahme des Verfahrens und ein faires Gerichtsverfahren für den Delinquenten in Einklang mit internationalen Standards. Zarifi unterstreicht zugleich die Notwendigkeit, dass Taiwan ein Hinrichtungsmoratorium als ersten Schritt zur Abschaffung der Todesstrafe verfügen muss.
Seit 2000 hat die Regierung von Taiwan wiederholt versprochen, die Todesstrafe abschaffen zu wollen. Doch stattdessen nahm man Ende April 2010 nach einer fast fünfjährigen Unterbrechung wieder Hinrichtungen auf. In diesem Jahr wurden bereits fünf Todesurteile vollstreckt. Mehr als 50 Menschen sind derzeit in der Todeszelle in Taiwan.
Werden Sie aktiv:
Schreiben Sie bitte an die Regierung Taiwans und bitten Sie eindringlich darum, Chiou Ho-shun nicht hinzurichten. Informationen für Ihren Appell finden Sie hier.
Amnesty International, Koordinationsgruppe gegen die Todesstrafe, 31. August 2011