Am 12. März 2010 trat die Justizministerin Taiwans, Wang Ching-feng, unter Protest zurück. Ihr war es nicht gelungen, politische Unterstützung für ihren Widerstand gegen die Todesstrafe zu gewinnen. Sie hatte es ausgeschlossen, während ihrer Amtszeit Hinrichtungsbefehle zu unterzeichnen. Frau Wangs Schritt löste ein weltweites Medienecho aus.
Justizminister Tseng Yung-fu folgte ihr am 22. März im Amt. Auch er sprach sich zunächst dafür aus, die Todesstrafe in Taiwan teilweise abschaffen zu wollen. Eine Umwandlung der bestehenden Urteile in unwiderrufliche lebenslange Haftstrafen könne eine Lösung sein. Eines der längerfristigen Ziele der Regierung sei es, die Todesstrafe in Taiwan abzuschaffen. Doch die Kehrtwende folgte auf dem Fuße: Am Freitagabend, dem 30. April, wurden erstmals nach fünf Jahren wieder Todesurteile in Taiwan vollstreckt. Bei den Hingerichteten handelt es sich um vier Kriminelle, die des Mordes und der Entführung für schuldig befunden worden waren. Die Exekutionen erfolgten ohne Ankündigung und trotz weltweiter Appelle. Vermutlich wurden sie durch Erschießungskommandos von hinten ins Herz vollzogen.
Amnesty International verurteilte die Strafvollstreckungen scharf. „Diese Hinrichtungen werfen einen dunklen Schatten auf die Menschenrechtslage Taiwans und stehen in eklatantem Widerspruch zu der zuvor geäußerten Absicht des Justizministers, die Todesstrafe abzuschaffen“, sagt Catherine Baber, stellvertretende Leiterin des Asien-Pazifik Programms von Amnesty International. „Die Augen der Welt waren auf die taiwanesischen Behörden gerichtet, ob sie sich zu den Menschenrechten bekennen und die Führung auf dem Weg zur Abschaffung der Todesstrafe im asiatisch-pazifischen Raum übernehmen. Mit diesen Hinrichtungen sind die Hoffnung erloschen“. Die Amnesty-Sprecherin forderte die taiwanesischen Behörden auf, unverzüglich das Moratorium für Hinrichtungen wieder in Kraft zu setzen und alle erforderlichen Schritte einzuleiten, um die Todesstrafe im Land abzuschaffen.
Zwar erklärten die taiwanesischen Behörden, dass sie weiterhin Alternativen zur Todesstrafe prüfen, aber solche Bekenntnisse sind nach Auffassung von Amnesty International von geringem Wert, wenn gleichzeitig Hinrichtungen stattfinden. Auch das Auswärtige Amt in Berlin sprach von einem schweren Rückschlag für die Bemühungen Deutschlands und der EU um eine Abschaffung der Todesstrafe in Taiwan.
Taiwans Regierungschef Wu Den-yih versuchte die umstrittenen Hinrichtungen mit dem Hinweis auf die Schwere der Verbrechen zu rechtfertigen. Er erinnerte daran, dass auch andere demokratische Länder an der Todesstrafe festhielten. Mindestens 70 Prozent seiner Landsleute seien gegen die Abschaffung der Todesstrafe. Derzeit sei „nicht der richtige Zeitpunkt“, um die Todesstrafe zu streichen. Unterdessen kündigten taiwanesische Menschenrechtsgruppen an, das Verfassungsgericht wegen der Hinrichtungen anzurufen.
Seit der letzten Hinrichtung im Dezember 2005 sind in Taiwan 42 Menschen zum Tode verurteilt worden. Gegenwärtig droht 40 Strafgefangenen der Vollzug der Todesstrafe.
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Amnesty International, Koordinationsgruppe gegen die Todesstrafe, 02. Mai 2010