Zahlen zur Todesstrafe 2020

Erneut hat die Menschenrechtsorganisation Amnesty International ihren jährlichen Bericht zur Lage der Todesstrafe auf der Welt vorgestellt. Die Bilanz fällt verhalten positiv aus: Gegenüber dem Vorjahr sind die globalen Gesamtzahlen an Hinrichtungen und Todesurteilen zurückgegangen. Das Bild wird allerdings an vielen Stellen getrübt, auch durch die bittere Erkenntnis, dass Corona den Kampf gegen die Todesstrafe erschwert hat.

Trotz beispielloser Herausforderungen angesichts der Corona-Pandemie haben sich 18 Länder auch im Jahr 2020 nicht von der Vollstreckung von Todesurteilen abbringen lassen. Weltweit wurden mindestens 483 Menschen exekutiert. Die Zahl markiert indes den niedrigsten Wert seit mindestens einem Jahrzehnt. Die vier Länder Iran (246+), Ägypten (107+), Irak (45+) und Saudi-Arabien (27) waren dabei für rund 88 Prozent aller bekanntgewordenen Hinrichtungen verantwortlich. Nicht enthalten in dieser Bilanz ist allerdings schon seit vielen Jahren die Volksrepublik China, da die dortige Regierung Angaben zur Todesstrafe als Staatsgeheimnis unter Verschluss hält. Amnesty International geht davon aus, dass in China pro Jahr Tausende Todesurteile verhängt und vollstreckt werden, mehr als im Rest der Welt zusammen. Das Land nimmt somit einen unrühmlichen Spitzenplatz ein.

Amnesty International verzeichnete im Laufe des Jahres 2020 mindestens 1.477 neue Todesurteile, gefällt in 54 Ländern – auch dies ist insgesamt ein Rückgang gegenüber dem Vorjahr (China in den Bilanzen jeweils ausgenommen). Es ist aber davon auszugehen, dass auch diese Zahl sehr viel höher läge, hätten China, Laos, Nordkorea, Syrien, Vietnam und andere Staaten zuverlässige Zahlen öffentlich gemacht. Ein signifikanter Anstieg der Zahl neu gefällter Todesurteile im Vergleich zum Vorjahr war in 13 Staaten zu beobachten, beispielsweise in Jemen (von 55 auf mindestens 269).

Rückschritte

Kritisch beurteilt Amnesty, dass 2020 in Ägypten dreimal so viele Menschen wie im Vorjahr hingerichtet wurden (Anstieg von 32+ auf 107+). In Irak gab es eine Massenhinrichtung, bei der an einem Tag 21 Gefangene exekutiert wurden. Iran setzte die Todesstrafe zunehmend als Mittel zur politischen Unterdrückung von Dissidentinnen und Dissidenten, Demonstrierenden und Angehörigen ethnischer Minderheiten ein. Indien, Katar, Oman und Taiwan nahmen im vergangenen Jahr nach Unterbrechungen wieder Hinrichtungen auf. Das 12. Jahr in Folge waren die USA 2020 das einzige Land des Amerikanischen Kontinents, in dem Todesurteile vollstreckt wurden. Erstmals nach 17 Jahren wurden dort wieder auf US-Bundesebene Todesurteile vollstreckt.

Amnesty blickt auch mit großer Sorge darauf, dass in etlichen Ländern, die Menschen zum Tode verurteilen oder hinrichten, die Todesstrafe nach Prozessen verhängt wird, die nicht den internationalen Rechtsstandards für ein faires Gerichtsverfahren entsprechen. In einigen Fällen basierten Urteile sogar auf „Geständnissen“, die durch Folter oder Misshandlung erpresst worden sein könnten – so in Ägypten, Bahrain, Iran und Saudi-Arabien. Verbrechen wurden in einigen Ländern mit dem Tode bestraft, bei denen keine Person vorsätzlich getötet worden war und die somit nicht die Schwelle der „schwersten Verbrechen“ überschritten, die das Völkerrecht setzt. In Vietnam beispielsweise wurden 87 Prozent aller aufgezeichneten Todesurteile für Straftaten im Zusammenhang mit Drogen verhängt.

Es wurden erneut zwingende Todesstrafen ausgesprochen und auch zur Tatzeit Minderjährige zum Tode verurteilt und hingerichtet. Menschen mit mentalen oder intellektuellen Behinderungen saßen 2020 in mehreren Ländern im Todestrakt ein, unter anderem in Japan, Malediven, Pakistan und den USA.

Die Covid-19-Pandemie trug zwar weltweit dazu bei, dass die Anzahl der Hinrichtungen und Todesurteile zurückging, aber sie verschärfte auch die inhärente Grausamkeit dieser Bestrafung. Es ist unter normalen Umständen schon schwer genug, juristisch gegen eine Hinrichtung anzukämpfen, die Corona-Pandemie hat dies zusätzlich erschwert, weil Gerichtsverfahren und der Austausch mit Rechtsbeiständen nachhaltig beeinträchtigt waren. Auch die Haftbedingen im Todestrakt haben sich coronabedingt verschlechtert, unter anderem weil Gefängnisbesuche untersagt und Todeshäftlinge über längere Zeiträume sozial isoliert wurden. In China wurde mindestens ein Mann zum Tode verurteilt und hingerichtet, nachdem die Behörden angekündigt hatten, scharf gegen Straftaten vorgehen zu wollen, die Maßnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 beeinträchtigen.

Fortschritte

© Christian Jungeblodt

Die Welt kehrt der Todesstrafe mehr und mehr den Rücken. Lichtblicke in 2020 waren die Abschaffung der Todesstrafe im zentralafrikanischen Tschad sowie im US-Bundesstaat Colorado. Kasachstan und Barbados leiteten rechtliche Schritte ein, die in naher Zukunft auf eine Abschaffung der Todesstrafe hinauslaufen könnten.

In Saudi-Arabien und Irak beobachtete Amnesty einen starken Rückgang der Hinrichtungen im Vergleich zum Vorjahr. Auch in Südsudan ging die Anzahl der bekannt gewordenen Hinrichtungen binnen Jahresfrist zurück. Im Gegensatz zu 2019 waren in den Ländern Bahrain, Belarus, Japan, Pakistan, Singapur und Sudan 2020 überhaupt keine Hinrichtungen zu verzeichnen. Staaten wie Gambia, Kasachstan, Malaysia, die Russische Föderation und Tadschikistan hielten weiterhin offizielle Hinrichtungsstopps ein.

123 der 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen stimmten mit deutlicher Mehrheit im Dezember 2020 für eine Resolution, die die Einführung eines Hinrichtungsmoratoriums fordert im Hinblick auf die vollständige Abschaffung der Todesstrafe.

Fazit

Dieses gemischte Bild zeigt erneut, wie wichtig es ist, den Kampf gegen die Todesstrafe fortzusetzen, denn hinter jeder Zahl steckt ein menschliches Schicksal. Die positiven Beispiele machen Mut, dass eine Welt ohne Todesstrafe möglich ist.

Amnesty International wendet sich in ausnahmslos jedem Fall gegen die Todesstrafe, unabhängig von der Art und den Umständen des Verbrechens, der Schuld, Unschuld oder anderen Eigenschaften der Person oder der Methode, derer sich ein Staat bedient, um Hinrichtungen durchzuführen.

Mehr zum Thema:

Mehr zum Thema Todesstrafe findest auf [www.amnesty.de]

Pressemitteilung [deutsch]

Hinrichtungen & Todesurteile 2020 – Bericht [englisch] ¦ Zahlen & Fakten [deutsch]

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Staaten mit und ohne Todesstrafe [Karte] ¦ [Länderliste]

Wenn der Staat tötet – Zahlen & Infos zur Todesstrafe [Hintergrund-Briefing]

Interaktive Karte zur Todesstrafe weltweit 2008 – 2020 (englisch) [Karte]

25. Juli 2021